Die Stunde Der Vampire
Eins
»Wir haben Beth aus Tampa in der Leitung. Hallo.«
»Hi Kitty, danke, dass du meinen Anruf entgegennimmst. «
»Gern geschehen.«
»Ich habe da eine Frage, die ich dir schon lange stellen wollte. Glaubst du, Dracula ist immer noch da drauÃen?«
Ich stützte mich auf die Armlehne meines Sessels und starrte das Mikrofon an. »Dracula. Du meinst das Buch? Die Romanfigur?«
Beth aus Tampa klang fröhlich und als ob es ihr voller Ernst wäre. »Ja. Ich meine, er muss der bekannteste Vampir sein, den es je gegeben hat. Und weil er so mächtig gewesen ist, kann ich einfach nicht glauben, dass Van Helsing und die ganzen anderen ihm einfach den Garaus gemacht haben.«
Ich versuchte, höflich zu sein. »Das haben sie aber. Es ist nur ein Buch, Beth. Literatur. Es handelt sich um Romanfiguren.«
»Aber du sitzt da Woche für Woche und erzählst allen, dass Vampire und Werwölfe echt sind. So ein Buch muss doch auf wahren Begebenheiten beruhen. Vielleicht war sein Name nicht wirklich Dracula, aber Bram Stoker musste sicher einen echten Vampir als Vorbild gehabt haben,
meinst du nicht? Fragst du dich nicht, wer das gewesen sein mag?«
Vielleicht war Stoker einem echten Vampir begegnet, hatte Dracula vielleicht sogar diesem nachempfunden. Doch wenn es diesen Vampir immer noch geben sollte, hegte ich den Verdacht, dass er sich vor Scham unauffindbar verkrochen hatte.
»Selbst wenn es ein echtes Vorbild geben sollte, das Stoker inspiriert hat, sind die Ereignisse in dem Buch völlig frei erfunden. Das behaupte ich, weil es in Dracula gar nicht wirklich um Vampire geht oder die Jagd auf sie oder um Untote oder dergleichen. Es behandelt viele andere Dinge: Sexualität, Religion, umgekehrten Imperialismus und Fremdenfeindlichkeit. Doch worum es wirklich geht, ist die Rettung der Welt mithilfe überlegener Bürotechnologie. « Ich wartete einen halben Herzschlag, um meine Worte wirken zu lassen. Wie ich dieses ganze Zeug liebte! »Denk doch mal darüber nach. Sie machen so viel Aufhebens um ihre Schreibmaschinen, Phonographen, die Stenografie â das Buch ist quasi der Technothriller seiner Zeit gewesen. Am Ende lösen sie alles, weil Mina richtig gut darin ist, Daten zusammenzustellen und miteinander abzugleichen. Was meinst du?«
»Ãh ⦠ich glaube, das ist vielleicht ein bisschen weit hergeholt.«
»Hast du das Buch überhaupt gelesen?«
»Ãhm, nö. Aber ich habe mir jede Verfilmung angesehen! «, fügte sie munter hinzu, als würde sie das retten.
Ich musste ein Knurren unterdrücken. »Na schön. Welche gefällt dir am besten?«
»Die mit Keanu Reeves!«
»Warum überrascht mich das nicht?« Ich warf sie aus der Leitung. »Machen wir weiter. Der nächste Anrufer, du bist live auf Sendung.«
»Kitty, hey! Ich bin seit langem Zuhörer, rufe aber das erste Mal bei dir an. Ich bin ja so froh, dass du mich in die Sendung genommen hast!«
»Kein Problem. Was hast du auf dem Herzen?«
»Tja, ich habe da so eine Art Frage. Hast du eine Ahnung, welche Ãberschneidung es zwischen Lykanthropen und den Furrys gibt?«
Laut Bildschirm hatte dieser Typ eine Frage zu Lykanthropen und alternativen Lebensstilen. Der Aufnahmeleiter, der die Vorgespräche führte, war groÃartig darin, sich möglichst vage auszudrücken.
Ich hatte gewusst, dass dieses Thema eines Tages an die Reihe käme. Anscheinend konnte ich es nun nicht länger meiden. Seiâs drum! Die Leute im Reich des Radios erwarteten Aufrichtigkeit.
»WeiÃt du, ich moderiere diese Sendung nun schon seit fast einem Jahr, ohne dass jemand Fellfetischisten erwähnt hat. Danke, dass du diesen letzten kleinen Fetzen Würde, der mir geblieben war, auch noch zerstört hast.«
»Du musst gar nicht so â¦Â«
»Nein, im Ernst. Ich habe nicht die leiseste Ahnung. Das sind zwei verschiedene Dinge â Lykanthropie ist eine Krankheit. Bei den Fell-Anhängern ist es eine ⦠eine Vorliebe. Was wohl bedeutet, dass es möglich ist, beides gleichzeitig zu sein. Und wenn du von den Furrys sprichst, meinst du dann diejenigen, die Comics mit Füchsen auf
zwei Beinen mögen, oder die, die sich Tierkostüme anziehen, weil sie das geil finden? Vielleicht handelt es sich bei manchen Anrufern, die wissen wollen, wie man zum Werwolf wird, zufälligerweise um Fellfetischisten, die denken,
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