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Die Stunde der Zikaden

Die Stunde der Zikaden

Titel: Die Stunde der Zikaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Mayall
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Strand schleudern würde. Verzweifelt kämpfte sie gegen die Strömung, gab dann aber plötzlich auf, weil sie merkte, dass ihre Kraft nicht ausreichte. Es ging nur noch darum, rechtzeitig Luft zu holen, um unter der nächsten Woge durchzutauchen. Zweimal noch stieß sie dabei mit irgendwas zusammen, dann prallte sie auf den steil aufsteigenden Strand. Ihre rechte Seite schmerzte, doch sie kam auf die Knie, dann auf die Beine, merkte kaum, dass sie gleichzeitig hochgezogen und halb getragen wurde. Oben auf der Düne sackten ihre Beine weg, und sie fiel in den Sand, würgte Salzwasser aus.
    «Perché? Kannst du mir erklären, warum?»
    Sie hörte Guerrinis Worte nur undeutlich. Die Ohren voll Wasser, hob sie abwehrend eine Hand, hustete. Er klopfte ihr den Rücken, strich ihr das nasse Haar aus dem Gesicht.
    «Laura! Hörst du mich überhaupt?»
    «Ich bin im Wasser mit irgendwas zusammengestoßen.» Ihre Augen brannten vom Salz, und sie konnte nur verschwommen sehen, trotzdem entdeckte sie etwas Dunkles in der Brandung. Ein paar Meter weiter links. Es wurde herumgewirbelt, wie eben noch sie selbst, und dann auf den Strand geworfen, als wollte das Meer es loswerden.
    Laura stützte sich auf Guerrinis Schulter und zog sich an ihm hoch.
    «Siehst du das?» Sie wies auf das Ding, das jetzt wieder von einer Welle verschluckt wurde, aber kurz darauf schon wieder auftauchte – und erkannte gleichzeitig mit Guerrini, dass es ein Mensch war. Ohne nachzudenken, rannte sie los und packte einen Arm und ein Bein. Ein gewaltiger Brecher kam ihr zu Hilfe, und so schaffte sie es, diesen schlaffen Körper festzuhalten und etwas höher auf den Strand zu ziehen.
     
    Er war tot. Hatte vermutlich nicht sehr lange im Wasser gelegen. Zu unversehrt war sein Körper, sein Gesicht. Nicht aufgedunsen, nur sehr gelblich blass. Sein Haar schwarz wie sein Schnurrbart. Araber, dachte Laura. Nordafrikaner. Vielleicht einer von den Flüchtlingen, die übers Mittelmeer nach Italien strömen. Einer von den disgraziati , den Unglücklichen. Höchstens vierzig. Aber so weit im Norden? Sie sah sich nach Guerrini um. Gerade war er noch neben ihr gewesen, oder hatte sie sich das nur eingebildet?
    Er war noch da. Stand zwischen den entwurzelten Macchiabüschen, die sich im Sand festzukrallen schienen. Auf ihren dünnen, knotigen Stelzen glichen sie grotesken Mangroven. Guerrini schaute auf Laura und den Ertrunkenen herab, machte keinerlei Anstalten, zu ihnen zu kommen.
    Laura schloss kurz die Augen, musterte dann erneut den Toten. Halb auf der Seite lag er vor ihr im Sand. Die nächste Riesenwelle würde ihn wieder zudecken oder mit sich nehmen und woanders ausspucken.
    Seine rechte Hand fehlte.
    Mit einem sauberen Schnitt war sie genau am Gelenk abgetrennt worden.
    Ein langsamer Schauder lief über Lauras gesamten Körper. Von der Schädeldecke bis in ihre Kniekehlen. Vielleicht kotze ich, dachte sie. Aber ihr Magen fühlte sich normal an. Nur ihrer Haut grauste es.
    Nicht einfach ertrunken, dachte sie. Im Wasser verblutet. Vielleicht sogar auf einem Boot.
    Professionelle Gedanken. Als wäre sie im Dienst. Aber diese Gedanken halfen gegen das Grausen. Selbst das Entsetzen über die Berührungen unter Wasser, über die fehlende Hand, verblasste angesichts dieser professionellen Überlegungen. Sie funktionierten wie ein Schutzschild.
    «Wirf ihn wieder rein!»
    Laura hob den Kopf.
    «Was?»
    «Wirf ihn rein!»
    Sie antwortete nicht, kniete neben dem Toten nieder, um nach anderen Verletzungen zu suchen.
    «Wirf ihn rein oder lass ihn liegen und komm her!» Commissario Guerrinis Stimme war Befehl. Laura stand auf, wischte den Sand von ihren Händen und über ihr nasses, blauseidenes Unterkleid. Langsam hob sie den Kopf und sah zu ihm auf.
    «Wie stellst du dir das vor? Ihn wieder reinwerfen oder liegen lassen! Kannst du mir mal erklären, wieso?»
    Mit geballten Fäusten stand er zwischen den entwurzelten Büschen und starrte sie düster an.
    «Das kann ich dir genau sagen, Laura! Weil nicht jede Leiche ein Recht auf mich und mein Leben hat, nur weil ich Polizist bin! Weil ich es als Zumutung empfinde, dass diese Leiche ausgerechnet an unserem Strand angeschwemmt wird! Als hätte sich jemand einen schlechten Scherz erlaubt, um unseren Urlaub zu ruinieren! Verdammt nochmal! Ich habe ihn nicht gesehen! Ich will ihn nicht sehen! Und ich möchte, dass du ihn einfach vergisst!» Seine Stimme war immer lauter geworden. Zuletzt hatte er gebrüllt.
    Laura stand

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