Die Stunde des Löwen
zu einem handfesten Problem auswachsen. Ihr Kollege hasste Köter. Angeblich, weil er einmal gebissen worden war. Und zwar von nichts Geringerem als einem American Staffordshire Terrier. Einer, Originalton, »Wahnsinnskampfmaschine«. Hätte er behauptet, es sei ein Pudel gewesen, und sich bezüglich der betroffenen Körperstelle nicht mehrmals widersprochen, würde sie ihm die Story vielleicht sogar abnehmen.
Magdalena Eisner, eine Mittsechzigerin mit auftoupierten grauen Locken, zeigte sich geschockt, als sie erfuhr, dass ihre Nachbarin Opfer eines Gewaltverbrechens geworden war.
»Ermordet, sagen Sie? Wie konnte Selma so etwas Schreckliches passieren?«
»Leider wissen wir das noch nicht«, antwortete Mannfeld und verstaute ihren Dienstausweis wieder in der Tasche. »Dürfen wir einen Moment eintreten? Wir würden Ihnen gern ein paar Fragen stellen.«
Mit hohen »Henry, Henry«-Rufen lotste Magdalena Eisner den Mops in die Küche. Nachdem sie die Küchentür geschlossen hatte, bat sie sie, ihr ins Wohnzimmer zu folgen. Im Flur trat Mannfeld um ein Haar in ein Schälchen mit Hundefutter. »Henrys Tafel« , prangte in schwarzen Druckbuchstaben auf dem Fressnapf.
»Wo, sagten Sie, ist es geschehen?«, fragte Magdalena Eisner und fegte mit ihrem Handrücken einen Krümel von der Lehne des beigen Veloursledersessels.
»In einem Hotelzimmer im Sheraton«, antwortete Mannfeld von der gegenüberliegenden Seite des Tisches aus.
»Liegt das nicht am Flughafen? Was, um Himmels willen, wollte sie denn dort?«
»Das hoffen wir von Ihnen zu erfahren.«
»Ermordet«, wiederholte Magdalena Eisner mit brüchiger Stimme. »Nur ein paar Häuser weiter die StraÃe runter ist in den neunziger Jahren ein fürchterliches Verbrechen geschehen. An Edelprostituierten. Selma hat manchmal davon gesprochen.«
Mannfeld erinnerte sich, dass auch einige der älteren Kollegen ab und zu noch über die rätselhaften Morde diskutierten.
»Wissen Sie, Selma hatte groÃe Angst, selbst Opfer eines Verbrechens zu werden. Wenn es dunkel war, ist sie nicht mehr gern auf die StraÃe gegangen. Und beim Walken im Grüneburgpark hat sie sich immer unwohl gefühlt, wenn ihr ein paar dunkle Gestalten begegneten. Und jetzt ist ausgerechnet ihr das â«
»Gab es etwas, vor dem sie sich konkret fürchtete?«
»Sie meinen, ob Selma sich bedroht fühlte?«
Mannfeld nickte.
»Mir gegenüber hat sie nichts verlauten lassen. Was aber nicht bedeutet, dass es da nicht doch etwas gab.«
»Der Tatort, das Sheraton Hotel. Ist Ihnen bekannt, ob sich Ihre Nachbarin häufiger in einem Hotel in Frankfurt eingemietet hat?«
»Warum hätte sie das tun sollen? Sie hatte doch drüben die schöne Wohnung.«
Mannfelds Blick folgte dem ausgestreckten Arm der alten Dame in Richtung Treppenhaus. Dabei streifte er ihren tief im Sessel versunkenen Kollegen. Jetzt, wo das Raubtier weggeschlossen war, schien sich Born vollständig mit der Rolle des Beobachters zufriedenzugeben.
Sie wandte sich wieder Magdalena Eisner zu und erkundigte sich, wie ihr Verhältnis zu dem Opfer gewesen war. Die beiden Damen verband eine lose Freundschaft. Man habe sich ab und an auf einen Kaffee getroffen und geplauscht. Ãber dies und jenes. Ferner berichtete Magdalena Eisner, dass Selma Tassen Witwe gewesen war und allein gelebt hatte. Ihr Mann, ein erfolgreicher Bauunternehmer, war bereits vor zehn Jahren an Herzversagen gestorben.
»Sie war ein sehr musischer Mensch, der klassische Musik liebte. Manchmal drehte sie die Lautstärke dermaÃen auf, dass ich die Musik hier in meiner Wohnung gehört habe. Selma war in ihrer Jugend Balletttänzerin.«
»Hatte sie Kinder?«
»Keine eigenen. Aber ihr Mann brachte einen Sohn mit in die Ehe. Zu dem hatte Selma in den letzten Jahren allerdings kaum Kontakt. Obwohl es ihr mittlerweile sehr leidtat, dass sie den Milan so streng erzogen hatte.«
»Kennen Sie den Stiefsohn?«
»Nicht persönlich. Aber Selma hat mir einmal erzählt, dass sie damals nachholen wollte, was die leibliche Mutter in ihren Augen versäumt hatte. Und dass es ein Fehler gewesen war, dem Jungen Benimm beibringen zu wollen. Und Respekt vor älteren Menschen. Wissen Sie, der Altersunterschied zwischen Milan und ihr war ziemlich groÃ. Die erste Frau ihres Mannes war viel jünger gewesen als
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