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Die Stunde des Löwen

Die Stunde des Löwen

Titel: Die Stunde des Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Köhl
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Wenige Armlängen von ihm entfernt beugte sich Mannfeld über einen Nierentisch, dessen mit Intarsien verzierte Platte eine Kristallvase mit einer einzelnen roten Baccararose schmückte. Nur widerwillig riss er seinen Blick von dem wohlgeformten Hintern seiner Kollegin los, um sich auf die Einrichtung zu konzentrieren.
    Kirschholzmöbel dominierten. Ein antiker englischer Bücherschrank mit verglaster Fächerfront präsentierte sich auffallend markant. Born machte ein paar Schritte in den Raum hinein und näherte sich dem Möbelstück. Im unteren Teil hatte Selma Tassen ihre in Leder gebundene Brockhaus-Enzyklopädie untergebracht. Auf den oberen Böden hatte die Weltliteratur Einzug gehalten. Unter den Bänden befanden sich deutschsprachige Klassiker, aber auch die Werke amerikanischer Literaten wie Philip Roth und Ernest Hemingway.
    Beeindruckt von der stattlichen Bibliothek, wollte Born sich gerade abwenden, als ihm ein unerwartet andersartiger Titel ins Auge stach. »Die 120   Tage von Sodom« von Marquis de Sade. Verwundert holte er die gebundene Ausgabe aus dem Fach und schlug sie auf. Dem Impressum entnahm er, dass es sich um eine Neuauflage aus dem Jahr 2006 handelte. Während er die Finger über die Seitenränder gleiten ließ, versuchte er, sich zu erinnern, um was es in dem Werk ging. Ach ja, richtig. Um Frauen, die wie Sklavinnen gehalten und von ihren Peinigern gequält und vergewaltigt wurden.
    Auch im Schlafzimmer des Opfers erwartete Born eine kleine Überraschung. Über dem mit cremefarbener Satinwäsche bezogenen Kingsize-Bett hing ein DIN - A2 -großes Aktbild. In Aquarellfarben zeigte es einen nackten muskulösen Mann mit einem tätowierten Löwenkopf auf der Hüfte. Kopf und Gesicht waren lediglich schemenhaft angedeutet. Die überdimensionale Darstellung des erigierten Gliedes und des Hodensacks hingegen bestach durch absolute Detailtreue.
    Je länger Born auf den schamlosen Akt starrte, desto stärker beschlich ihn der Verdacht, dass Selma Tassens offenkundiges Interesse an Erotischem, Bizarrem, Pornografischem, oder wie immer man das auch bezeichnen wollte, mit ihrer Ermordung zu tun haben könnte. Vielleicht war sie tatsächlich wegen eines erotischen Abenteuers ins Sheraton gefahren. Auch wenn er das vorhin eigentlich nur gesagt hatte, um Mannfeld ein wenig zu empören.
    Mit entflammtem Jagdfieber begann er, den Kleiderschrank zu durchsuchen. Möglich, dass er darin auf weitere Indizien stieß, die Selma Tassens vermeintliche Lasterhaftigkeit untermauerten. Reizwäsche oder Sexspielzeug zum Beispiel. Nachdem er in den Schubladen und Fächern außer einem Ballerinakleid und Ballettschuhen nichts Außergewöhnliches hatte finden können, machte er sich auf ins Bad. In dem kleinen, fensterlosen Raum herrschte penibelste Ordnung. Die Handtücher waren sorgfältig im Regal gestapelt, die Duschkabine bis auf den letzten Tropfen mit dem Wischer abgezogen worden. Enttäuscht, dass sich auch in dem Schränkchen unter dem Waschbecken nichts von Interesse befand, zog er sich am Beckenrand aus der Hocke nach oben. Sein Blick streifte den Spiegel. Was er darin im Neonlicht präsentiert bekam, diente ebenfalls nicht gerade der Steigerung seiner Laune. Die vergangenen Jahre hatten deutliche Spuren hinterlassen. Kaum zu glauben, dass er nach dem Abi für einen Versandhauskatalog gemodelt hatte. Und dass ihm die Michelstädter Mädels in Scharen hinterhergelaufen waren. Heute war er schon zufrieden, wenn eine Frau seine Freundschaftsanfrage auf Facebook bestätigte. Einmal, wenige Abende nachdem er erfahren hatte, dass Mannfeld ein Kind von ihrem Berufswitzbold erwartete, war es ihm sogar gelungen, sich mit einer seiner Web-Bekanntschaften zu verabreden. Eine Art-Direktorin, die ihn vom Foto her an die bezaubernde Sibel Kekilli aus »Gegen die Wand« erinnert hatte. Dass sie eine in Deutschland geborene Türkin war, hatte er ihrem Facebook-Profil ebenfalls entnehmen können. Ein Musterbeispiel an Integration. Nichts am Hut mit Allah und Kopftuch. Um Eindruck zu schinden, hatte er sie in die sündhaft teure Hotelbar des »Fleming’s« eingeladen. Die Skyline im Blick, hatten sie im siebten Stock auf der Terrasse gesessen und Aperol Spritz geschlürft. Mit jedem geleerten Glas war seine Hoffnung auf eine aufregende Liebesnacht gestiegen. Doch als er von der Toilette zurückgekehrt war,

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