Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Stunde des Löwen

Die Stunde des Löwen

Titel: Die Stunde des Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Köhl
Vom Netzwerk:
tropfenförmigen Leberfleck an ihrem Kinn. »Da musste ich mir was Neues suchen. Eine ganze Weile hab ich mich umgesehen und nichts Vernünftiges gefunden. Hier und da hab ich gejobbt und schließlich in einer Kneipe Han kennengelernt. Ihm gehört das ›King of Asia‹.«
    Gejobbt hatte Fremden in den letzten Jahren auch. Die reizvollste Arbeit war die als Animateur in diversen Clubs Aldiana gewesen. Und die nervigste diese Promotionssache in Düsseldorf. In ein nach Mottenkugeln riechendes Bärenkostüm gezwängt, hatte er stundenlang durch die Altstadt laufen und Hustenbonbons verteilen müssen. Heute verdiente er seine Brötchen als Aushilfstaxifahrer. Die paar Euro Lohn gab’s zumindest cash auf die Hand.
    Â»Warum hat Ihnen Klaus Bruckner gekündigt?«
    Â»Hat er Ihnen das nicht gesagt?« Liliana Bode schaute ihn mit ihren malachitgrünen Augen herausfordernd an. »Ich war dem Kerl zu langsam. Im Gegensatz zu seinem Vater ist Klaus Bruckner nämlich kein guter Chef. Ein Menschenschinder, dem man nichts recht machen kann.«
    Fremden versuchte, sich das bleiche Männchen in der Rolle des Nörglers und Despoten vorzustellen. Es gelang ihm nicht.
    Als er nichts erwiderte, erkundigte sich Liliana Bode: »Sie sagten vorhin am Telefon, dass Bruckner den Tod seines Vaters untersuchen lässt. Warum tut er das?«
    Â»Weil er Zweifel an der offiziellen Version hat.«
    Â»Jetzt, nach über sechs Jahren?« Liliana Bode schlug sich mit der flachen Hand leicht auf den Oberschenkel und stieß ein leises Lachen aus. »Der Bruckner ist wirklich ein merkwürdiger Kauz.«
    Der Kellner tauchte auf und stellte einen Teller vor ihr ab. Sie bedankte sich mit einem Nicken.
    Â»Ich hoffe, es stört Sie nicht, wenn ich nebenher esse«, sagte sie zu Fremden, »aber ich brauche jetzt dringend eine Kleinigkeit in den Magen. Bevor die ersten Gäste kommen. Das hier sind Heuschrecken. Die schmecken schön nussig, und die Fühler kitzeln angenehm auf der Zunge. Da sollten Sie wirklich mal eine probieren.«
    Liliana Bode schob den Teller einladend ein Stück in seine Richtung und begann zu essen.
    Â»Ich möchte lieber noch einmal auf Hugo Bruckner zu sprechen kommen«, sagte Fremden und versuchte, weder den Teller noch Liliana Bode anzuschauen, zwischen deren wohlgeformten Lippen eine Heuschrecke nach der anderen verschwand. »Als seine Sekretärin haben Sie doch sicher so einiges mitbekommen.«
    Â»Was verstehen Sie denn unter ›einiges‹? Seitensprünge?«
    Â»Vielleicht auch die. Können Sie sich vorstellen, dass jemand Bruckner aus dem Weg haben wollte?«
    Kopfschüttelnd wischte sich Liliana Bode die Hände an der Serviette ab.
    Â»Hatte er keine Feinde?«
    Â»Nicht dass ich wüsste. Wer hätte ihm denn auch feindlich begegnen sollen? Etwa Hinterbliebene, die sich ärgerten, dass der Sarg mit den falschen Blumen geschmückt war?«
    Â»Ich dachte eher an Konkurrenten, die ihm den geschäftlichen Erfolg neideten, oder an entlassene Mitarbeiter.«
    Â»Ich sagte es doch schon: Hugo Bruckner war ein guter Chef. Das Einzige, was an ihm ein bisschen nervte, waren seine spontanen Aktionen. Wie zum Beispiel die Auslandsreisen, die ich manchmal für ihn und seine Begleiter buchen musste.«
    * * *
    Ein Mops namens Henry. Born lachte still in sich hinein, während er die Wohnungstür des Mordopfers öffnete. Als er hinter Mannfeld über die Schwelle trat, fiel ihm zuerst die an die Wand montierte Garderobe auf. Der Spiegel war mit Wintermänteln und Schals zugehängt. Seitlich steckten Walking-Stöcke im Schirmständer, und auf der Abtropfmatte stand eine beachtliche Anzahl an Schuhen. Elegant gearbeitete Pumps, gefütterte Lederstiefel, aber auch an den Zehen geschlossene Gesundheitslatschen mit Korksohle.
    Im Flur zog er sich die Einweghandschuhe über, die ihm Mannfeld gereicht hatte. Eine seltsame Zusammenstellung selbst gemalter Bilder hing an den Wänden zum hinteren Wohnbereich. Landschaften, ein Harlekin, eine Burg auf einem Berg und Kohlezeichnungen von Tieren. Phantasielose Motive, in plumper Technik zu Papier gebracht. Dass sie Marke Eigenfabrikat waren, erkannte er an der immer gleichen Signatur in den rechten unteren Bildecken: »Selma Tassen« – in schwarzer geschwungener Schreibschrift.
    An der Tür zum Wohnzimmer blieb er einen Moment lang stehen.

Weitere Kostenlose Bücher