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Die Stunde des Raben

Die Stunde des Raben

Titel: Die Stunde des Raben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Pfeiffer
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»Merkwürdig.«
    Sie stellte das Glas wieder ab, zog den silbernen Schwan aus der Tasche und betrachtete ihn.
    Im nächsten Moment stieß sie Nos Großmutter an.
    »Hallo?«
    Die alte Dame öffnete die Augen. »Oh«, sagte sie. »Ich habe geträumt. Ich habe geträumt, ich wäre wieder ein junges Mädchen.«
    Sie griff nach dem Glas auf dem Silbertablett.
    »Hier, bitte!« Rufus’ Mutter nahm es und reichte es ihr.
    »Danke!« Die alte Dame trank.
    Rufus’ Mutter beobachtete sie.
    Nos Großmutter sah auf. »Sie sind doch die Mutter von dem rothaarigen Jungen. Sie wirkten vorhin so nervös.«
    »Die Aufregung, Sie verstehen«, sagte Rufus’ Mutter, so sanft, wie sie nur konnte. Sie blickte Nos Großmutter fragend an.
    »Schmeckt Ihnen das Wasser?«
    »Wie früher!«, nickte Nos Großmutter. »Das ist wirklich gutes Wasser.«
    Rufus’ Mutter lächelte knapp.
    Sie fasste wieder in ihre Handtasche und schien nachzudenken. Im nächsten Moment hatte sie einen Entschluss gefasst.
    »Sagen Sie, Frau Brunnemann, würden Sie mir bitte einen Gefallen tun? Ich habe eine dringende geschäftliche Verabredung vergessen und kann nicht länger bleiben. Könnten Sie das meinem Sohn sagen, wenn Sie ihn später noch einmal sehen?«
    »Die Geschäfte rufen Sie?«, fragte die alte Dame.
    »Genau«, antwortete Rufus’ Mutter und zog die Hand aus ihrer Tasche. »Dringende Geschäfte! Aber wenn sie gut verlaufen, komme ich bestimmt bald wieder her.«
    Nos Großmutter nickte. »Ich grüße Ihren Sohn von Ihnen. Schade, dass Sie schon gehen müssen.«
    »Ja, wirklich«, antwortete Rufus’ Mutter. »Sagen Sie meinem Sohn doch auch, dass ich froh bin, wirklich sehr froh über alles.«
    Sie warf ihre roten Haare mit einer schwungvollen Bewegung zurück, drehte sich um und verließ die Akademie auf klackernden Absätzen.

Der Wendelring
    Die Flut war zurückgekehrt. Vielleicht war es doch möglich, sie trotz der Träume zu beenden.
    Rufus, Filine und No standen in einem dichten Wald. Es war still.
    Auf dem Waldboden lag Boudicca, sie war verwundet und wirkte sehr schwach. Neben ihr knieten Brae und Aili. Tyrai stand abseits und hielt Wache.
    »Mutter, wir bringen dich fort von hier.«
    »Die Schlacht …«, murmelte die Königin.
    »Sie ist verloren«, sagte Aili leise. »Aber der Druide Myrddin hat gesagt, wir müssen nach Londinium gehen. Dort sind im Moment keine Rotbüsche.«
    »Sie werden wiederkommen.«
    »Ja, aber wir werden dich dort verbergen und pflegen.«
    Die beiden hoben ihre Mutter mit Hilfe Tyrais auf den Streitwagen.
    Dann wandelte sich das Bild.
    Der Himmel öffnete sich, sie befanden sich jetzt auf einem Weg zwischen Feldern. Der Wagen, der nur noch von einem Pferd gezogen wurde, ruckelte unruhig. Aili, Brae und Tyrai gingen neben ihm. Die Königin lehnte in ihm. Sie hielt die Augen geschlossen und atmete schwer.
    Die Lehrlinge folgten der kleinen Gruppe langsam.
    Dann verblasste die Flut erneut und plötzlich war es früher Morgen. Leichter Nebel hing über der Landschaft, aus seinen Schwaden schälten sich die Umrisse einiger Holzhäuser.
    Der Wagen stand am Fuß eines Hügels, und Brae und Aili waren dabei, ihn zu zerlegen. Er waren nur noch ein Rad und die Deichsel übrig. Der Rest des Gefährts war bereits verschwunden.
    Die beiden Mädchen hoben das Rad an und trugen es in das nächstgelegene Haus, eine unscheinbare Hütte zwischen anderen.
    Die Lehrlinge gingen ihnen nach.
    In der Hütte war es nicht sehr geräumig, aber sie hatte drei größere Fensteröffnungen und einen gemauerten Kamin. Im Inneren herrschte leichtes Dämmerlicht. Ein kleines Feuer brannte im Kamin. Daneben ruhte die Königin auf einem Fell, den Rücken an ihr Schild gelehnt, das an der Wand aufgerichtet stand.
    In einer Ecke arbeitete Tyrai mit einer Axt an etwas, das wie ein Tisch aussah. Brae und Aili legten das zweite Rad vor ihm ab.
    »Danke!« Tyrai nickte. Er löste mit der Axt vorsichtig den Eisenreifen des anderen Rades und dann eine Speiche. Diese steckte er in ein Loch in der Tischplatte.
    »Ich werde den Wagen in dein Haus verbauen, Bydegg. Er wird dich immer begleiten und dir noch gute Dienste leisten.«
    Die Königin sah ihn schweigend an.
    Tyrai griff nach der dünnen Wagenachse, die vor ihm auf dem Boden lag. Er betrachtete sie, dann hielt er sie Aili hin.
    »Es ist Stechpalme«, sagte er. »Das stabilste und biegsamste Holz, das es in Britannien gibt. Was soll ich euch daraus machen?«
    »Nichts machst du daraus, Tyrai!«,

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