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Die Stunde des Venezianers

Titel: Die Stunde des Venezianers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cristen Marie
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Colard deutete auf die offenen Ballen. »Angeblich Korduanleder für die Herstellung von elegantem Schuhwerk.«
    Der Schreiber trat näher und befühlte die bearbeiteten Ziegen- und Schafhäute. Zu Korduan verarbeitet, hätten sie fast so weich wie Stoff sein müssen, aber diese Lieferung verbreitete stechenden Unratgestank, und die einzelnen Teile waren brettsteif.
    »Die Ballen sind beim Transport nass geworden«, vermutete er. »Salzwasser.«
    »Das Zeug taugt nicht einmal mehr für Färberwesten«, sagte Colard düster.
    »Wer hat es geprüft, ehe es ins Lager gebracht wurde?«
    »Ruben.«
    »Aus ihm wird nie ein Händler.«
    Colard gab keine Antwort. Er hockte sich auf die Tischkante und verschränkte die Arme vor der Brust.
    »Das allein kann dich nicht so wütend machen«, stellte Joris trocken fest.
    »Es ist der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt«, knurrte Colard. »Wir benötigen Geld, das der Verkauf dieser Ballen einbringen sollte. Ich frage mich, wie ich noch länger den guten Ruf vom erfolgreichen Handelshaus Cornelis aufrechterhalten kann.«
    »Eine Anleihe vielleicht«, schlug der Schreiber vor. »Der Venezianer hat uns schon einmal geholfen.«
    »Er verlangt Sicherheiten, die wir nicht bieten können. Ganz zu schweigen von den Zinsen. Nein, es muss einen anderen Weg geben.«
    Die schwere Tür des Lagerhauses drehte sich quietschend in den Angeln. Eine der Hausmägde steckte den Kopf mit der hellen Leinenhaube herein.
    »Messer Bernardo Portinari von der Bank der Medici wünscht Euch zu sprechen, Herr. Er wartet im Haus.«
    »Sag ihm, ich komme sofort.«
    Colard trat an Joris' Seite. »Was ich gesagt habe, bleibt unter uns.«
    Joris war fast beleidigt. Er hatte seine Treue zum Haus Cornelis längst unter Beweis gestellt. Ihm bestätigte dieser überflüssige Befehl lediglich, dass Colard die Probleme über den Kopf wuchsen.
    Der Bankier aus Florenz, trotz der Sommerhitze in ein elegantes Wams aus scharlachrotem Wolltuch gekleidet, trat Colard in der hohen Eingangshalle des Backsteinhauses entgegen, das Piet Cornelis zu Beginn des Jahrhunderts zum Zeichen seiner Macht und seines Reichtums errichtet hatte.
    Sie tauschten höfliche Begrüßungsfloskeln, ehe Colard den Gast in sein Kontor führte.
    Portinari vertrat seit Jahrzehnten die Interessen des Bankhauses Medici in Brügge. Sein Scharfsinn wurde nur von seiner Skrupellosigkeit übertroffen, und Colard fragte sich, ob er wusste, wie es um sie stand. Der Wechsel, den er ausgerechnet heute präsentierte, hatte Colard noch gefehlt. »Es eilt nicht«, sagte Portinari betont leutselig. »Ich wollte nur, dass Ihr wisst, was zum Fälligkeitstermin auf Euch zukommt.«
    Colard besah sich kurz das Papier und legte es in betonter Gleichgültigkeit neben das Rechenbrett und die Münzwaage auf den Tisch.
    »Es wundert mich, dass Ihr nicht in Gent seid.«
    »Bei der Fürstenhochzeit? Herzog Philipp hat auch ohne mich genügend Zaungäste, die bewundern, wie er seiner Liebe zum Prunk frönt. Man erzählt sich, dass die Juwelen und Geschenke für seine Braut drei ganze Truhen gefüllt haben sollen. Angeblich hat er sie mit offenen Deckeln herumzeigen lassen, damit die Genter sehen, dass die Erbin von Flandern eine gute Partie macht.«
    »Seiner Gemahlin wird es gefallen haben«, warf Colard ein. »Ihre Vorliebe für kostbare Steine und Geschmeide ist jedem Goldschmied zwischen Paris und Syrakus bekannt.«
    »Man erzählt sich, dass der Herzog dem Seigneur von Coucy unglaubliche elftausend Livres für ein einziges Perlenhalsband gezahlt hat.«
    »Ich bezweifle, dass der Herzog tausend Livres flüssig hat, von elftausend ganz zu schweigen. Die Zahl seiner Gläubiger dürfte mittlerweile die seiner Verbündeten übersteigen.«
    Die Tatsache, dass der luxuriöse Lebensstil des Herzogs mehr Gold verschlang als eingenommen wurde, war in Flandern anlässlich der Hochzeit ausgiebig diskutiert worden. Colard fragte sich, warum Portinari auf diesem Thema herumritt.
    »Schon – schon. Ich denke, er wird sich die elftausend geliehen haben«, antwortete Portinari in einem Ton, der Rückfragen provozierte.
    Colard wurde unruhig und sagte lediglich: »Ihr müsst es ja wissen.«
    Ein dünnes Lächeln quittierte seine zurückhaltende Antwort.
    »Bei uns hat er nicht angefragt«, fuhr Portinari spitz fort. »Man munkelt, er habe sich dieses Mal an die jüdischen Geldverleiher gewandt.«
    Was will er nur?, dachte Colard.
    »Die Herren werden ebenfalls wissen, was sie

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