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Die Stunde des Venezianers

Titel: Die Stunde des Venezianers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cristen Marie
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und eine Bank teilten sich den Raum mit zwei Truhen, die seine Kleider und seinen bescheidenen persönlichen Besitz enthielten. An der Wand, genau dem Fenster gegenüber, befand sich der einzige Schmuck des Zimmers: eine glatte bemalte Holztafel, von feinem Schnitzwerk gerahmt. Sie zeigte eine junge Frau mit offenem flachsblondem Haar und leuchtend grünen Augen. Sie hielt einen Lilienzweig in der Hand. Colard hatte sie für eine Heilige gehalten, als er das Bild zum ersten Male bewusst wahrnahm. Sein Vater hatte ihn ausgelacht.
    »Piet Cornelis hat dieses Bild stets in Ehren gehalten, aber er hat uns nie verraten, wen es darstellt. Ich bezweifle, dass es eine Heilige ist. Die Dame sieht ansprechend irdisch aus.«
    Er hatte das Bild an seinem Platz belassen, als er die Kammer bezog. Niemand erhob Anspruch darauf. Inzwischen gefiel es ihm, unter dem verträumten Blick der Dame mit der Lilie zu leben. Sie war geduldig, wenn er Probleme wälzte, hörte ihm zu, wenn er wie jetzt seine Gedanken in Worte fasste.
    »Ich will alles tun, um das Haus Cornelis vor Schaden zu bewahren und seinen Wohlstand zu mehren. Sag mir, was zur Hölle treibt Ruben in Gent?«
    Die Dame mit der Lilie schwieg.

3. Kapitel
    G ENT , G RAVENSTEEN , 27. J UNI 1369
    Aimée warf einen Blick über die Schulter und eilte weiter. Der überdachte Gang an der Kapellenseite des Innenhofes lag ungewöhnlich leer und sonnengesprenkelt hinter ihr. Die Mittagshitze hüllte Stadt und Burg in ein undurchlässiges Tuch und bleichte die Kalksteinquader des Gravensteen staubig weiß. Jedes Zeichen von Leben schien erstorben. Wer es sich leisten konnte, blieb im Schatten. Die Herzogin hatte sich in ihr abgedunkeltes Gemach zurückgezogen und wünschte, nicht gestört zu werden.
    Eine Hofdame, die zu dieser Stunde ohne Begleitung durch die Galerie eilte, erregte Aufmerksamkeit, aber Aimée hoffte niemandem zu begegnen. Sie hätte nicht gewusst, was sie antworten sollte, wenn sie jemand gefragt hätte, wohin sie gehe.
    Die Wahrheit war ungehörig. Sie folgte der Botschaft eines Pagen. Nur – wer hatte ihr den Pagen geschickt? Ihre Neugier war stärker als die Vernunft, die sie zur Vorsicht mahnte.
    Es kamen nur der Herzog und Ruben Cornelis in Frage. Wie sollte sie den Herzog abweisen? Würde andererseits dieser Cornelis sich souverän über jede Etikette hinwegsetzen? Dass er an den Hochzeitsfeierlichkeiten teilnahm, verdankte er nur der besonderen Stellung, die die Kaufleute in Flandern einnahmen. Die Erfolgreichen unter ihnen bildeten ein städtisches Patriziat, das es mit dem Adel an Reichtum und Einfluss aufnehmen konnte. Ruben Cornelis musste einer dieser Patrizier sein, sonst hätte er keine Einladung nach Gent erhalten.
    Aimée trat durch eine Seitenpforte in das von Mauern umsäumte Rechteck des Burggartens. Anlässlich der Hochzeitsfeierlichkeiten hatten die Gärtner des Grafen eine blühende Rosenlaube geschaffen, und die Kräuterbeete waren von sauber gestutzten Buchsbaumhecken umgeben. Die sorgsam mit weißem Kies bestreuten Wege führten zu einem kleinen Marmorbrunnen, in dessen Becken eine Schwalbe badete. Das Plätschern des Vogels und das Summen der Insekten wurden vom Knirschen eiliger Schritte übertönt.
    »Ihr?«
    »Ich sehe mit Freuden, dass Ihr meiner Botschaft gefolgt seid, Aimée von Andrieu.« Er hatte ihren vollen Namen in Erfahrung gebracht.
    »Schreibt es meiner Neugier zu, Herr Cornelis«, antwortete sie kühl. »Ich wollte wissen, wer die Kühnheit besitzt, eine Hofdame der Herzogin in den Garten zu bestellen.«
    »Seid mir nicht böse«, bat er entwaffnend. »Es liegt mir fern, Euch zu kränken. Aber Ihr seid der einzige Mensch, den ich um Hilfe zu bitten wage.«
    Aimée suchte den Schatten der Laube, ohne ihn zum Mitkommen aufzufordern. Er folgte ihr, und als sie sich vor allen Blicken geschützt gegenüberstanden, griff er nach ihrer Hand.
    »Werdet Ihr mir helfen?«
    »Wobei?« Aimée versteifte sich. Sie spürte den Schweiß zwischen ihren Schulterblättern.
    Der Rosenduft setzte ihr zusätzlich zu. Seit den traumatischen Pesttagen ihrer Kindheit verband sie Rosenaroma mit Tod und Verderben.
    »Helft mir, den Herzog davon zu überzeugen, dass er mir vertrauen kann. Ihr habt Einfluss auf ihn, ich weiß es.«
    »Ihr träumt«, platzte Aimée heraus und wich vor seinem Überschwang zurück. »Ich bin sicher, Ihr habt Eure Audienz bekommen. Was wollt Ihr noch?«
    »Ich habe ihm ein Geschäft vorgeschlagen, und er versprach mir,

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