Die Stunde des Venezianers
Antwort auf Flämisch gegeben.
»Ihr sprecht unsere Sprache!«
»Meine Großmutter hat sie mich gelehrt. Sie ist eine kluge Frau. Sie vertritt zum Beispiel den Standpunkt, dass der liebe Gott auch den Frauen Verstand gegeben hat.«
»Das klingt nach einer höchst ungewöhnlichen Frau.«
»Das ist sie«, bestätigte Aimée bestimmt. »Sie hat mich nach dem Tod meiner Eltern aufgezogen. Ich verdanke ihr sogar mein Leben. Sie hat mich vor der Pest gerettet, an der meine Eltern gestorben sind.«
»Und sie kommt aus Flandern?« Ruben stellte die Frage weniger aus Interesse, sondern weil ihm die Wärme in ihren Augen gefiel, wenn sie von ihrer Familie sprach.
»Sie ist in der Freigrafschaft Burgund geboren, aber sie kam schon als Kind nach Brügge, wuchs dort im Beginenhof vom Weingarten auf und hat ihn erst als junge Frau verlassen. Mein Großvater konnte sie wohl davon überzeugen, dass die Ehe dem entsagungsvollen Leben einer Begine vorzuziehen ist.«
»Wie haben sich Eure Großeltern kennengelernt?«
»Großvater kam als persönlicher Gesandter des französischen Königs nach Brügge. Im Namen Philipps des Schönen sollte er Klarheit in den Streit zwischen den Beginen und den Zünften von Brügge bringen. Kennt Ihr den Beginenhof von Brügge?«
»Natürlich. Meine Familie war den Beginen stets verbunden. Der Vater meiner Mutter, Piet Cornelis, hat den Weingarten durch großzügige Spenden unterstützt. Erwägt Ihr etwa, eine Begine zu werden?«
»Sicher nicht.« Aimée zog eine schalkhafte Grimasse. »Ich fürchte, es fehlt mir der nötige Gehorsam. Die Schwestern sind inzwischen dort, anders als früher, strengen Ordensregeln unterworfen und Zeit ihres Lebens dem Orden verpflichtet.«
»Gott sei Dank«, sagte Ruben mit einem Lächeln.
»Warum?«
»Ihr seid viel zu schön und zu klug, um Euch hinter Mauern zu verstecken.«
Aimée hob die Brauen und antwortete nicht. Die dick aufgetragene Schmeichelei war keine Antwort wert. Aber er machte sich damit nicht gleich unsympathisch. Er bot ihr Gelegenheit, mehr über Brügge zu erfahren, was ihr wichtig war. Ihre Großmutter wurde bei Gesprächen über ihre Vergangenheit in Flandern immer sehr ernst und zurückhaltend. Aimée hatte stets das Gefühl gehabt, dass sich mit Brügge ein Geheimnis verband.
Es musste dort etwas geschehen sein, das sie unter keinen Umständen preisgeben wollte. Das Rätsel, wie sich eine Begine und ein Ritter überhaupt kennengelernt haben konnten, beschäftigte Aimée schon immer.
Die angeregte Unterhaltung zwischen Ruben und ihrer Hofdame erregte auch die Aufmerksamkeit der Herzogin. Margarete von Flandern, seit Jahren Objekt ständig wechselnder Heiratspläne, schwebte seit ihrer Hochzeit in einer Wolke der Glückseligkeit, was sie indes nicht davon abhielt, den Charakter ihres Mannes richtig einzuschätzen. Er liebte die Schönheit. Egal, ob es sich dabei um Kunstwerke, Juwelen, Tiere oder Frauen handelte. Frauen wie Aimée von Andrieu.
Die Herzogin ertappte sich bei einer ersten Anwandlung von Eifersucht. Sie beruhigte sich jedoch schon nach wenigen Augenblicken. Aimée schien weder die Aufmerksamkeit, die sie erregte, zu bemerken noch ihre Wirkung auf den Herzog und auf den jungen Flamen. Wer war er überhaupt? Konnte es sein, dass sie ihn unter den Händlern gesehen hatte?
Als die Tafel aufgehoben wurde und die Musikanten zu spielen begannen, entsann sich Aimée ihres Versprechens. Sie führte Ruben so geschickt durch die Menge, dass sie scheinbar unabsichtlich den Weg des Herzogs kreuzten. Er blieb wie erwartet vor ihr stehen.
»Erlaubt, dass ich Euch Herrn Ruben Cornelis aus Brügge empfehle«, sagte sie gewinnend und versank in eine höchst anmutige Reverenz, ehe sie sanft hinzufügte: »Er sucht Euer Ohr in geschäftlichen Belangen.«
Sowohl die Herzogin wie auch Ruben Cornelis warteten mit angehaltenem Atem auf die Reaktion des Herzogs. Aimée hatte sich im Vertrauen auf ihre persönliche Wirkung über die höfische Etikette hinweggesetzt.
Der Herzog lächelte. Er neigte sich vor, ergriff ihre Hand und half ihr, sich aufzurichten. Seine Augen prüften sie vom Goldband des Schleiers bis zu den Säumen ihres eleganten Gewandes. Ihre verschmitzte Miene brachte ihn zum Lachen. Er wandte sich an den Flamen.
»Es ist unmöglich, Eurer schönen Fürsprecherin zu widerstehen, Herr Cornelis. Seid willkommen auf unserem Fest. Ihr handelt mit Tuchen?«
»In erster Linie«, antwortete Ruben bedächtig.
Hinter seiner Stirn
Weitere Kostenlose Bücher