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Die Stunde des Venezianers

Titel: Die Stunde des Venezianers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cristen Marie
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tun«, antwortete er knapp.
    »Das sind nicht alle Gerüchte, die aus Gent an meine Ohren dringen.«
    »Das denke ich mir.«
    Colard lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Er trug ein schlichtes graues Wams aus Brügger Tuch, ohne jeden Schmuck. Er wusste, dass er wie ein Kanzlist wirkte, aber das kümmerte ihn nicht. Er war ein ehrlicher Flame und kein bunter Vogel aus Florenz.
    »Es geht die Rede, dass dem Herzog schon vor Ende der Hochzeitsfeierlichkeiten die Finanzmittel knapp werden«, fuhr Portinari fort. »Er muss den Genter Honoratioren ihre Gastfreundschaft mit großzügigen Geschenken vergelten. Er sucht unter den Hochzeitsgästen aus Brügge nach Geldgebern.«
    »Damit haben sie gerechnet. Aber sie werden ihm voller Bedauern mitteilen, dass der Rückgang des Tuchhandels die Kassen von Brügge derart in Mitleidenschaft gezogen hat, dass er keine finden wird. So ist es im Rat der Schöffen beschlossen worden. Wir haben keinen Grund, Burgund zu unterstützen.«
    »Seid Ihr Euch sicher?«
    »Absolut sicher. Welcher Dummkopf fände sich bereit, Wasser in ein Sieb zu schütten?«
    Portinari lächelte dünn über den Scherz.
    »Genau genommen ist es nicht einer, es sind drei. Sie sollen einen Teil der fürstlichen Juwelen als Sicherheit erhalten haben.« Er machte eine bedeutsame Pause und fügte hinzu: »Einer von ihnen trägt angeblich den Namen Cornelis.«
    »Ruben!«
    Um Colards Ruhe war es jetzt völlig geschehen. Er schoss so ungestüm von seinem Stuhl hoch, dass dieser über die glasierten Fliesen kratzte und gegen eine Truhe stieß. Portinari betrachtete es mit Genugtuung. Er strich sich mit dem Zeigefinger über den pechschwarzen Schnauzbart.
    »Wusstet Ihr nichts davon?«
    Colard bezwang seinen Zorn mit Mühe. Portinari durfte nicht herausfinden, dass sein Vetter – wenn die Gerüchte denn stimmten – die letzten Barmittel des Hauses Cornelis zum Fenster hinausgeworfen hatte. Warum zum Teufel. Weshalb konnte er sich nie an eine Abmachung halten. Er sollte das Haus Cornelis repräsentieren, nicht ruinieren. »Wer sind die anderen Kreditgeber?«, antwortete er mit einer Gegenfrage.
    Was immer sein Vetter getan hatte, man würde es in der Familie regeln. Einem Fremden Einblick zu gewähren verbot sich von selbst.
    »Man nennt noch Jacob von Oost. Ich nahm an, Ihr steht in Geschäftsbeziehungen mit dem Herzog. Man hat Domenico Contarini, den Venezianer, bei Euch gesehen. Steigt Ihr ins Diamantengeschäft ein?«
    Colard nahm wieder Platz. Er unterließ es, das Gerücht zu dementieren. Besser, sein Besucher nahm an, er mache Geschäfte mit Edelsteinen, als dass er von den Schulden erfuhr, die das Haus Cornelis bei der venezianischen Bank hatte.
    »Ich muss Euch enttäuschen, Portinari. Wir werden beide auf die Rückkehr meines Vetters aus Gent warten müssen, um Näheres zu hören.«
    »Wer weiß, welche Vorteile dem Haus Cornelis aus dem Kredit erwachsen, den Ruben dem Herzog gegeben hat.«
    Die Unterredung ging Colard jäh auf die Nerven. Er griff nach dem Wechsel. Erst jetzt sah er, dass es sich um 300 Florin für toskanische Lederwaren handelte. Eben jene Lederlieferung, die seinen Wutausbruch im Lager verursacht hatte.
    »Kehren wir zu den Tatsachen zurück. Dieser Wechsel ist das Papier nicht wert, auf dem er notiert wurde. Euer Partner in Florenz hat nicht die vereinbarte Qualität geliefert.«
    Die anschließende Debatte wurde ebenso heftig wie lautstark geführt. Am Ende rauschte der Bankier wütend aus dem Kontor und verkündete, dass noch nicht das letzte Wort gesprochen sei.
    Colard zögerte, aber dann machte er sich doch auf den Weg zu seiner Tante.
    Sophia hatte nach dem Tod ihres Mannes wieder ihren Geburtsnamen Cornelis angenommen. Sie war die eigentliche Herrin des Handelshauses, und sie bewahrte eifersüchtig das Erbe ihres Vaters, Piet Cornelis, für ihren Sohn Ruben. Ihre Mutter, eine Witwe aus Gent namens Anna de Fine, war die dritte und letzte Frau des verstorbenen Handelsherrn gewesen, die ihm trotz seines hohen Alters und gegen jede Erwartung noch ein Kind geschenkt hatte. Allerdings nur ein Mädchen.
    Anne de Fine ihrerseits hatte zwei Söhne aus ihrer ersten Ehe gehabt. Sie waren Sophias Halbgeschwister, und einer von ihnen, Richard, bekam später den Sohn Colard. Colard war der einzige Überlebende aus dieser Seitenlinie. Dass Sophia ihm dennoch die Leitung des Kontors überließ, war nur dem Umstand zuzuschreiben, dass Ruben das normale Tagwerk eines Kaufmanns langweilte. Er

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