Die Sturmreiterin - Hennen, B: Sturmreiterin
gab kein Fenster und die Deckenbalken waren so niedrig, dass man geduckt gehen musste, um sich nicht den Kopf zu stoßen.
An der Rückwand der Kammer befand sich eine weitere Tür. Gabriela wandte sich zu dem Stiefelknecht um, der bereits nach seinem Bündel gegriffen hatte, um zu gehen. »Wohin führt diese Tür?«
Der Junge zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht. Nur der General hat einen Schlüssel. Manchmal kommt er nachts hier herauf. Er hat mich dann immer die Treppe hinuntergescheucht, bevor er die Dachkammer aufgeschlossen hat. Weiß der Henker, was er dahinter verbirgt. Manchmal ist er stundenlang dort drinnen geblieben. Ich konnte ihn auf dem Holzboden auf und ab gehen hören. Rastlos … Er ist manchmal ein wenig seltsam, der Alte.«
»Wie meinst du das?«
»Naja, es heißt, er meidet Frauen. Deshalb wundere ich mich auch … Hat er dich als Dienstmagd eingestellt?«
Gabriela lächelte. »Wir werden sehen. Wie heißt du eigentlich?«
»Branko.« Der Junge schnitt eine Grimasse. »Weißt du eigentlich, dass ich deinetwegen jetzt in den Pferdeställen einquartiert bin? Nicht, dass ich diese Kammer geliebt hätte … Im Winter zieht es hier so sehr, dass man glaubt, der Wind wolle mit Messern durch die Decken schneiden, aber es stinkt wenigstens nicht. Das Stroh kannst du übrigens noch eine Weile im Sack lassen. Ich habe es erst vor zwei Monaten ausgetauscht.«
»Vielleicht wirst du deine Kammer schon bald wiederbekommen, Branko.«
Der Stiefelknecht legte den Kopf schief und sah sie neugierig an »Wie meinst du das?«
»Wir werden sehen.«
Der Junge grinste. »Wenn du glaubst, du könntest den Alten hier herauf auf deinen Strohsack holen, hast du dich getäuscht. Das haben schon hübschere Weibsbilder als du vergebens versucht und … «
»Raus!«
»Du wirst sehen, dass ich recht habe!« Lachend hüpfte Branko die Treppe hinunter. Gabriela verschloss hinter ihm die niedrige Tür zur Treppe. Eine fast abgebrannte Kerze auf einem Messinghalter erhellte die Kammer. Das also war ihre neue Heimat! Sie hatte einen anderen Empfang erwartet … Aber vielleicht wollte Gott sie für den Mord an ihrem Mann strafen. Der General hatte sie nicht wirklich unfreundlich empfangen. Nachdem er ihr glaubte, dass sie die Tochter seines Bruders war, hatten sie den ganzen Nachmittag miteinander gesprochen.
Sie hatte ihm erzählen müssen, wie ihre Mutter und ihr kleiner Bruder am Fieber und ihr Vater im letzten Winter an einer Lungenentzündung gestorben waren. Über den Mord an ihrem Mann hatte sie geschwiegen. Schon in den ersten Minuten ihres Gesprächs hatte sie das Gefühl bekommen, dass der Festungskommandant sie umgehend in den Kerker werfen lassen würde, wenn er erfahren sollte, was der wirkliche Grund für ihre Flucht war. Stattdessen hatte sie ihm erzählt, ihr Hof sei von Räubern überfallen worden. Mittellos und ohne Mann habe sie sich seiner besonnen. Mit dieser Geschichte lieferte sie auch eine Erklärung für die Schramme auf ihrer Wange.
Ihre Flucht zur Festung Olmütz hatte fast sechs Wochen gedauert. Die meiste Zeit über war sie in Männerkleidern gereist, denn als allein reisende Frau hätte sie nur unnötiges Aufsehen erregt. Zum ersten Mal hatten ihr der schlanke Wuchs und die für eine Frau recht dunkle Stimme zum Vorteil gereicht. Mit den beiden Pistolenholstern vor dem Sattel und dem Säbel ihres Vaters am Gürtel hatte sie niemand auf der langen Reise behelligt. Erst als sie sich der Festungsstadt bis auf Sichtweite genähert hatte, war sie abgesessen, um ihre Kleider zu wechseln.
Erschöpft ließ sie sich auf den Strohsack sinken und starrte zu den dunklen Balken an der Decke der Dachkammer. Ob ihr Onkel sie verstecken wollte? War es ihm peinlich, sich nun um sie kümmern zu müssen? Als anständiger Christenmensch konnte er sie nicht einfach davonschicken … Sie hatte das gewusst. Doch wie würde er sich weiter verhalten? Insgeheim hoffte sie, er würde sie wie eine Tochter aufnehmen. Aber wenn er wirklich ein Frauenhasser war, wie Branko behauptet hatte, sollte sie wohl damit zufrieden sein, wenigstens ein Quartier in einer Dachkammer bekommen zu haben.
2. KAPITEL
Gabriela bog aus der Bäckergasse mit ihren alten Fachwerkbauten zum Markt hin ab, wo sich das Rathaus mit seinem bis weit ins Land hinaus sichtbaren Turm erhob. Wie jedem Freitag drängten sich Händler und Bürger dicht an dicht auf dem Platz. Flussfischer priesen lauthals ihren Fang an, und Gabriela musterte eine
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