Die Suche
„Adam...“
„Ich halte mich da raus. Das ist eure Angelegenheit. Aber sagt Bescheid, wenn euer Gejammer noch länger dauert. Ich gehe dann inzwischen eine rauchen.“
„Niemand jammert!“, knurrte ich. „Aber du weißt, dass ihm alles zuzutrauen ist, Adam. Ich nehme seine Warnung sehr ernst. Wenn ihr unbedingt dabei sein wollt, dann nicht in meiner Nähe, wo sie euch wittern können.“
„Wir haben nicht viel Zeit. In einer Stunde musst du am Big Ben sein und es wird langsam spät. Um die Uhrzeit beginnt die Rush Hour. Hoffentlich schaffen wir es überhaupt noch. Hast du dich jetzt endlich entschieden, Anna?“ Er klang nicht genervt, was ihm einen Pluspunkt einbrachte.
„Ja. Aber bleibt auf Abstand und so wie du auf die Tube drückst, sind wir in Nullkommanichts da“, murmelte ich, nahm Sams Hand in meine und drückte sie.
Wir brauchten schließlich doch eine halbe Ewigkeit. Denn auch wenn Adam den ersten Teil der Strecke aufs Gas drücken konnte, war es damit vorbei, als wir London erreichten. Wir steckten im Feierabendverkehr wie ein Korken im Flaschenhals. Wir kamen kaum voran, und in mir machte sich Unruhe breit, denn die Minuten verstrichen. Kostbare Zeit. Mitten auf der Westminster Bridge kam der Verkehr zum Erliegen. Es waren nur noch wenige Augenblicke bis zum Ablauf des Ultimatums. Von weitem konnte ich den angestrahlten Turm bereits sehen.
„Ich steige hier aus und gehe den restlichen Weg zu Fuß.“ Vermutlich fanden es die anderen auch vernünftiger, denn niemand widersprach. Als ich die Tür öffnete, hielt Sam mich zurück.
„Warte …“, murmelte er und zog mich zu sich, legte seine warmen Lippen auf meine, streichelte mir durch die Haare.
„Sei vorsichtig!“, flüsterte er. Ich nickte und stieg aus und rannte los, in Richtung der Parlamentsgebäude. Eine hohe, schwarze Umzäunung aus Metall trennte die Besucher von dem Gelände. Ich folgte dem Zaun im Laufschritt, bog links ab und kam zu einem bewachten Eingang.
Mittlerweile war es dunkel geworden, aber die Gebäude und Big Ben selbst wurden von zahlreichen Scheinwerfern angestrahlt. Menschen liefen unbeirrt über den Bürgersteig, es war viel los, obwohl es immer noch regnete. Gehetzt schaute ich mich um, ging auf und ab und stieß dabei gegen jemand. Eine feine Duftnote umwehte meine Nase, und ich kniff die Augen zusammen. Außer des Rückens, konnte ich leider keinen Blick auf die verhüllte Person werfen. Es war mir auch nicht möglich zu erkennen, ob es sich um eine Frau oder einen Mann handelte. Wenige Augenblicke später war sie in der Menge verschwunden. Ohnehin hatte ich nicht mehr die Zeit, zu folgen, denn ich war verabredet und wurde nervös.
Auf ein Zeichen des Friedens warten …
Aha. War ich zu spät? Noch während ich das dachte, hörte ich die unverkennbare Melodie von Big Ben. Nein, ich war pünktlich. Aber war ich am richtigen Ort? „Vor Big Ben“ war wesentlich weniger genau, als man glaubte. Hier oder dort drüben? Oder am Zaun, Richtung Themse? Was, wenn ich jetzt meinen derzeitigen Standort verlassen, und ausgerechnet deshalb jemanden verpassen würde? Ich überlegte noch hin und her, als ich ein Gurren vernahm.
Auf ein Zeichen des Friedens warten … . Schlagartig wurde mir klar, was Marcus gemeint hatte. Eine Friedenstaube! Anders konnte es nicht sein. Ich sah mich suchend um, und da saß sie auf dem Asphalt und pickte nach unsichtbaren Krumen. Sie war schneeweiß und wunderschön.
Ich näherte mich vorsichtig, doch die Taube war zahm und flatterte nicht davon. Vorsichtig griff ich mir das Tier. Die Flügel fühlten sich seidenglatt in meinen Fingern an. Sie war ganz ruhig, nur das Herz schlug hektisch gegen meinen Handballen. „Alles gut“, redete ich auf sie ein, und untersuchte den Hals, wo normalerweise die Nachrichten in einem Röhrchen verstaut wurden. Unter den Federn an einem dünnen Stahlring hing eines, das ich recht einfach entfernen konnte. „Nun flieg wieder zurück. Wenn du schlau bist, suchst du den Weg in die Freiheit.“
Ich öffnete meine Finger und sah zu, wie die Taube in den dunklen Nachthimmel aufstieg. Fahrig öffnete ich das winzige Röhrchen und pulte den Zettel raus. Ich rollte ihn auseinander und starrte auf das Wort, das da geschrieben stand.
Ein einziges Wort.
PENG!
Ich hatte die blinde Panik noch nicht im Griff, als mein Smartphone klingelte. Mit gefühllosen Fingern fummelte ich es aus der Tasche und entriegelte das Display
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