Ein Iglu für zwei (German Edition)
Überreden gilt nicht
„Eigentlich möchte ich da nicht hin“, entgegne ich Lucy. „Ich kenne diesen Sänger schließlich nicht, und wenn ich’s mir so recht überlege, habe ich schon etwas anderes vor.“
Jedenfalls hypothetisch gesehen.
Ich denke nicht, dass meine Ausrede sonderlich überzeugend wirkt, aber versuchen kann man es doch mal.
„Doch, du gehst!“
Lucy legt mir die Einladung vor die Nase auf den Tisch. Ich werde wieder mal weichgeklopft. Wie so oft. Geht bei mir völlig problemlos. Mein Schicksal scheint besiegelt.
Lucy hatte an einem Gewinnspiel teilgenommen, bei dem der Hauptgewinn dieser Sänger war. Genaugenommen ein gemeinsames Essen mit ihm. Sie hat doch tatsächlich gewonnen, aber nun keine Zeit, den Termin wahrzunehmen, da ihr Chef sie nach Deutschland beordert hat. Sie soll dort einen Vortrag am archäologischen Institut Hamburg über die Methoden der Archäologie halten. Lucy ist Archäologin. Hat schon viel ausgegraben. Ein wirklich interessanter Beruf. Er ist ein bisschen artverwandt mit meinem. Ich bin Völkerkundlerin.
Genetisch betrachtet bin ich ein halber Inuit. Andere sagen Eskimo. Mein Vater ist Inuit, doch äußerlich bin ich das Ebenbild meiner schwedischen Mutter. Ihre himmelblauen Augen und das fast silbern glänzende Haar haben sich bei mir vollends durchgesetzt. Aus mir wurde ein Mischling, der absolut nicht gemischt aussieht. Nur der ausgeprägte Zartbitterschokoladenteint meines Vaters verwandelte meinen Hautton in einen dezenten Vollmilchteint. Ich bin also eine Vollmilchschwedin. Dafür habe ich das Temperament meines Vaters geerbt. Ich bin so unterhaltsam wie eine Schlaftablette. Ruhig und in mich gekehrt. Am liebsten sitze ich auf einem Eisblock und schaue ins arktische Meer.
Seitdem ich in New York lebe, sehe ich ab und zu aus dem Fenster. Mein bester Freund ist mein Computer. Ich schreibe viel. Im September veröffentliche ich mal wieder ein Buch. Das fünfte an der Zahl. Da ich Völkerkundlerin bin, liegt es natürlich nahe, worüber ich schreibe. Viermal bereits habe ich mich für einige Zeit einem Indianervolk angeschlossen, dessen Kultur und Lebensart beobachtet und mit den Menschen eines Stammes zusammengelebt. Für einen scheuen Menschen wie mich eine Herausforderung und auch Überwindung.
Die Ureinwohner Australiens faszinieren mich enorm. Leider leben auch sie, ebenso wie die Indianer Nordamerikas, in Reservationen. Ich schloss mich einem kleinen Stamm der Aranda an und lebte gut fünf Monate unter ihnen in der Wüste Australiens. Es war eine aufregende Zeit. Unvergesslich. Meine Erlebnisse und Erfahrungen schrieb ich in meinem letzten Buch nieder. Es kommt in zwei Monaten auf den Markt.
Ich will die Missstände mit meinen Büchern an die Öffentlichkeit bringen. Informieren und Verständnis aller Völker für andere Völker gewinnen. Das ist mein Ziel.
Warum ich mich dafür so ausspreche? Vielleicht, weil ich in einer Welt aufgewachsen bin, die anders war, in der meine Hautfarbe zu einem Problem wurde.
„Hör zu, Malina“, Lucy redet auf mich ein, „ist dir denn nicht klar, wer dieser Danny ist?“
Eigentlich ... nein.
Ich schaue Lucy unschuldig in die Augen.
„Er könnte die Inkarnation von John Lennon sein und du würdest es nicht wissen, nicht wahr?“
Wäre möglich.
„Wie auch immer. Einer muss dorthin. Und da ich ausgerechnet an diesem Tag was anderes zu tun habe, bleibst nur du übrig. Er ist ein wahrer Traummann, Malina.“
Sie hält sich das Foto von Mr. Greyeyes an die Brust und tanzt verträumt durch den Raum.
Wenn ich ihre Freude doch nur teilen könnte. Aber man kann von mir nicht gerade behaupten, ich sei besonders begeisterungsfähig. Lucy würde ich eher mit einem tobenden Fluss vergleichen, während ich der stille und starre See bin. Mein Enthusiasmus hält sich für gewöhnlich in Grenzen. Vor allem, wenn es sich um Rocksänger handelt, die ich nicht kenne und mit denen ich gegen meinen erklärten Willen essen gehen muss.
Das kleine Dorf auf Grönland, in dem ich aufgewachsen bin, war so abgeschieden, dass mir die halbe westliche Welt absolut fremd war. Nachdem ich Grönland verlassen hatte, führte sich etwas fort, was bereits in meiner Kindheit begonnen hatte. Das Gefühl, fremdartig zu sein.
Mein Problem seit meiner Geburt war, ein Mischling zu sein. Ein Mischling, der niemals aussah wie einer, sondern eher wie jemand von einem anderen Stern. Meinem älteren Bruder Namid beschied das Schicksal
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