Die Sünde aber gebiert den Tod
sie der Pater wegen eines solchen Besuchs auf das Heftigste gerügt hatte, und es bildeten sich kleine Fältchen in seinen Augenwinkeln. Doch als Almut ihn näher betrachtete, bemerkte sie Müdigkeit und tiefe Linien der Erschöpfung in seinem Gesicht. Sie winkte die Magd zu sich, die eifrig mit dem Besen die Ecken auskehrte.
»Bring uns eine große Schüssel Eintopf, Hilde. Auch Brot und etwas zu trinken.«
Jetzt war das Lächeln noch deutlicher in Pater Ivos Augen zu erkennen.
»Ihr macht es Euch regelmäßig zur Aufgabe, mich zu speisen, Begine.«
»›Wer nun weiß, Gutes zu tun, und tut’s nicht, dem ist’s Sünde.‹«
»Sagt Jakobus. Ich danke Euch für die milde Gabe!« »Habt Ihr lange gefastet?«
»Zwei Tage nur, Begine, keine Ewigkeit!«
»Nun, dann esst mit Appetit, und währenddessen werde ich Euch die Zeit mit einigen kurzweiligen Geschichten verschönen.«
»Geschichten habt Ihr zu erzählen?«
»O ja, und zwar gar wundersame Mär habe ich Euch zu künden.«
Eine dampfende Schüssel mit einem würzigen Gericht aus Fleisch und Kohl wurde auf den Tisch gestellt, dazu dicke Scheiben braunen Brotes und Gänseschmalz.
»Also, Pater, schweigt und esst.«
»So gelten bei Euch die selben Regeln wie in meinem Orden? Das Schweigen beim Essen?«
»Nicht immer, Pater, aber für Euch gilt es jetzt. Es dürfte Euch, da Ihr die Regel kennt, nicht schwer fallen.«
»Ich will mich bemühen, der Regel zu gehorchen – und Euch, Begine. Berichtet derweil.«
Er nahm den Hornlöffel, der neben der Schüssel lag und fing langsam, aber mit sichtlichem Genuss, an zu essen. Almut nickte anerkennend und begann mit ihren Ausführungen.
»Nun, um die Frage zu beantworten, wegen der Ihr gekommen seid – Klein Gerlis geht es gut, sie befindetsich in der Obhut meiner Stiefmutter in der Mühlengasse.«
Ein fragender Blick schoss unter den schwarzen Brauen hervor.
»Es gab letzte Woche in der Nacht von Samstag auf Sonntag einen kleinen unangenehmen Zwischenfall, der es notwendig machte, das Kind von hier fortzubringen. Drei trunkene Gesellen kletterten über die Mauer und machten sich daran, in Gertruds Kammer zu gelangen. Sie versuchten, wie wir zu wissen glauben, das Mädchen zu entführen.«
Eine Braue hob sich bis fast an den Haaransatz.
»Wir konnten sie erfolgreich an der Ausführung ihrer schändlichen Tat hindern.«
Die Brauen zogen sich über der Nasenwurzel zusammen.
»Mit einem Besenstiel und einer Schippe.«
Ein kaum zu unterdrückender Laut kam von Pater Ivo, und Almut hob warnend den Zeigefinger. Dann fuhr sie fort: »Je nun, wie sich zeigte, stammt das Kind mit dem Feuermal nicht von unbekannten Eltern. Auch nicht von unbedeutenden. Besser gesagt, die Mutter trug das nämliche Mal. Mit Würde, wie man berichtet, wenngleich sie es auch gelegentlich zu verstecken trachtete. Bettina de Benasis wurde nur selten deswegen verspottet, doch heißt es, bösartige Zungen bezeichneten ihr Mal als Satanskuss.«
Pater Ivo stockte der Löffel auf dem Weg zum Mund, doch mannhaft hielt er sich an den Befehl, schweigend zu essen.
»Ja, das arme Kleine! Hoffen wir, es kümmert sich wenigstens der Vater darum, denn es ist schon ein schlimmes Schicksal, mutterlos aufzuwachsen.«
Der Löffel sank in die Schüssel zurück.
»Esst, Pater, damit Ihr stark genug seid, auch den Rest zu ertragen.«
Gehorsam nahm der Benediktiner sein Mahl wieder auf.
»Am Christtag verließ des Abends eine verschleierte Frau mit einem kleinen Kind das Gasthaus Zum Adler. Eine missliche Angelegenheit für den Wirt, denn sie hatte ihre Zimmerpacht noch nicht entrichtet, und unglücklicherweise tauchte sie anschließend nicht wieder bei ihm auf. Zumindest nicht so, wie sie gegangen war. Immerhin sah man den Wirt des Adlers an dem folgenden Morgen, wie er mit seinem Karren nach Groß Sankt Martin zog. Eine Ricke hieß es, habe er abliefern wollen. Der Karren hinterließ eine Spur von roten Blutstropfen im Schnee.«
Pater Ivo hatte den Kopf über die Schüssel geneigt und schüttelte ihn ungläubig.
»Nun begab es sich, dass unsere Köchin Franziska – die übrigens zuvor im Adler die Wirtschaft übernommen hatte – auf dem Markt einkaufen ging. Sie stammt aus Aachen und kennt sich in Köln nicht besonders gut aus. Sie verlief sich, Pater, und als sie an einem Gestrüpp am Rheinufer die schweren Körbe abstellte, um einen Moment zu verschnaufen, verwechselte sie anschließend einen davon. Der falsche Korb, Pater – und nun legt
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