Die Sünde aber gebiert den Tod
ziemlich alt, und es ist gerade recht für mich, bei den Beginen zu leben.«
Ein geisterhaftes Kichern entrang sich der Alten.
»Alt? Alt bin ich«, keuchte sie. »Und ich hätte meine jungen Jahre nicht hinter Mauern verbringen wollen. Vier Männer hab ich begraben und fünf Kinder. Sechse hab ich durchgebracht und großgezogen. Waren schöne Jahre. Möchte sie nicht missen.«
»Ja, Frau Traute. Ihr habt ein reiches Leben gelebt.« »Verschwendet das Eure nicht!«
»Bestimmt nicht, Frau Traute.«
»Doch, aber ich kann Euch nicht mehr als bitten, denn nun wartet sie auf mich. Ich habe sie schon gesehen. Betet für mich ›Die Himmelskönigin‹, Frau Almut.«
»Gerne, Frau Traute. So hört.« Zu diesem Gebet brauchte Almut keinen Psalter und keine Aufzeichnungen. Sie umfasste die knochigen, abgearbeiteten Hände und sprach mit sanfter Stimme: »Sei gegrüßt, o Königin, Mutter der Barmherzigkeit, unser Leben, unsere Wonne...«
Die alte Traute hatte die Augen geschlossen und atmete flach. Aber als Almut geendet hatte, hoben sich noch einmal ihre Lider, und kaum mehr hörbar hauchte sie: »Da ist sie, die Mutter der Barmherzigkeit.« Und ihr Blick blieb unverwandt auf Almuts Gesicht ruhen, bis ihre Augen brachen und ihre Seele aus ihrem irdischen Körper entfloh.
Eine Weile saß Almut noch bei der Toten, schweigend und verwirrt. Selten dachte sie darüber nach, ob ihre Entscheidung für das arbeitsame, tugendhafte Dasein im Konvent richtig war. Die Mahnung einer so alten Frau jedoch musste beachtet werden. Verschwendete sie wirklich ihr Leben? Aber dann fielen ihr die drei tot geborenen Kinder ein, die qualvollen Jahre ihrer Ehe mit einem kranken, selbstsüchtigen Mann, vor dem sie sich schließlich geekelt hatte. Nein, es war besser, in der Gemeinschaft von Frauen zu leben, deren Regeln zwar Armut und Keuschheit verlangten, ihr aber auch Freiräume des Geistes ließen, die sie zuvor nicht gekannt hatte.
Sie sprach noch ein stilles Gebet für die alte Traute und stand dann auf, um die Enkelin zu holen, die unten in der Stube mit ihren beiden kleinen Kindern saß.
Von ihrer Verwirrung hatte Almut sich gänzlich wieder erholt, als sie durch den frostigen Nachmittag zurück zum Konvent ging. Es war zum Jahreswechsel noch einmal kälter geworden, wenn auch kein Schnee mehr gefallen war. Dunst hing über dem Rhein und zog sich unangenehm bis unter ihren dicken Umhang. Fröstelnd rieb sie ihre Hände aneinander und freute sich auf die warme Mahlzeit, die sie bald erwartete.
Doch die war noch nicht gerichtet, wie sie herausfand, als sie das Refektorium betrat. Magda fragte sie stattdessen, ob Franziska mit ihr gekommen sei.
»Nein, ich habe sie, außer heute in der Frühe, nicht gesehen.«
»Oh. Nun, sie ist etwa um die Mittagszeit aufgebrochen, um einkaufen zu gehen, und ich trug ihr auf, auf dem Rückweg bei der alten Traute vorbeizugehen, damit du ihr tragen hilfst.«
»Die Traute ist heute Mittag gestorben, und Franziska ist dort nicht erschienen. Aber sie wollte auch zum Adler gehen und dem Wirt helfen.«
»Dann ist sie aber eine recht unzuverlässige Person. Sie müsste doch wissen, wann sie das Essen für die Vesperstunde zu richten hat. Gertrud sollte sich jetzt noch nicht so anstrengen. Sie macht auf mich noch einen recht klapperigen Eindruck.«
Almut seufzte. Sie hatte die Köchin mit in den Konvent gebracht und fühlte sich für deren Verhalten verantwortlich.
»Ich gehe zum Adler und erinnere sie an ihre Pflichten!«
»Ja, tu das. Aber geh nicht alleine, Almut! Es wird früh dunkel.«
»Ich frage Ursula, ob sie mitgeht.«
Ursula hatte jedoch eine Arbeit angefangen, die sie im spärlichen Tageslicht noch zu Ende bringen wollte, und so machte Almut sich dann doch alleine auf den Weg, in der Hoffnung, Pitter an seiner gewohnten Stelle zu finden. Der Päckelchesträger war auf seinem Posten und gegen das Versprechen einer warmen Mahlzeit nur zu gerne bereit, sie zu begleiten.
»Zum Adler, gut. Da gibt es ein feines Bier, Frau Almut. Auch wenn der Wirt sich nicht aufs Kochen versteht.«
»Kennst du den Simon? «
»Klar!«
»Was hältst du von ihm? «
»Och, der ist in Ordnung, wisst Ihr. Er ist vor ein paar Jahren hier aufgetaucht, kommt aus dem Norden, hat er erzählt. So spricht er auch. Die Adlerwirtin hat ihn aufgelesen,als er vollständig abgebrannt in ihrer Schenke gelandet ist. Ihr Mann, der alte Albert mit seiner Hufschmiede, der war auch ganz froh, einen kräftigen Gehilfen zu
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