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Die Sünde aber gebiert den Tod

Die Sünde aber gebiert den Tod

Titel: Die Sünde aber gebiert den Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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was?«
    Zornig sprang Simon auf und brüllte: »Jetzt reicht es aber. Ich bin gekommen, weil es Silvester ist, und da sollte man sich als vernünftig denkender Mensch einen guten Vorsatz schaffen! Ich wollte Euch fragen... Ach, ist ja auch egal. Verdammt, ich mag dich trotzdem. Warum, weiß ich nicht, doch ich habe an dir einen Narren gefressen, Weib, das du bist! Wenn du wieder zu Verstand gekommen bist, dann besuche mich. Aber nicht vorher.«
    »Oh, Simon!«
    »Schönes neues Jahr!«
    Er stürmte zur Tür und lief Almut in die Arme. Unwirsch machte er sich los, wodurch sie das Gleichgewicht verlor und in den Schneehaufen plumpste, der vor der Tür zusammengefegt worden war. Dann hörte sie, wie das Tor geöffnet wurde und mit einem Krachen wieder zufiel. In der Küche schluchzte Franziska. Kopfschüttelnd rappelte Almut sich auf und klopfte sich denSchnee von ihrer Kehrseite. Sie sah keinen Grund, Franziska jetzt zu stören, und ging ins Refektorium zurück.
    »Das war nur der Adlerwirt, der noch etwas Nachschub für die Köchin gebracht hat. Das ist in Ordnung!«, flüsterte sie der Pförtnerin zu. »Er ist jetzt weg. Achte darauf, das Tor nachher noch abzuschließen.«
     
    Trotz dieses misslichen Zwischenfalls war das Silvesteressen ein Erfolg und so sättigend, dass Almut um Mitternacht, als alle Glocken der Stadt das neue Jahr einläuteten, mit noch immer vollem Magen ihre Gebete sprach. Dankbarkeit kam darin zum Ausdruck – dafür, weder Hunger leiden noch frieren zu müssen, und für ein Leben in Sicherheit und Frieden. Dankbarkeit dafür, keine Lasten aufgebürdet zu bekommen, die zu schwer zu tragen waren, und für die Eintracht, mit der sie in ihrer Gemeinschaft und ihrer Familie leben durfte. Sie bat die heilige Jungfrau, die Mutter Gottes, um ihren Schutz und Segen für alle, die ihr nahe standen – die Beginen und die kleine, unglücklich verliebte Köchin, die taubstumme Trine, den verschrobenen Apotheker Krudener und den immer hungrigen Pitter. Für ihre Eltern und Stiefgeschwister und natürlich auch Aziza. Sie bat für das mutterlose Kind und die Seele seiner unglücklichen Mutter. Und für Pater Ivo. An ihm blieben ihre Gedanken ein wenig länger hängen. Ihr Groll auf ihn war verflogen, er hielt sowieso nie sehr lange an. Sie schloss die Augen und ließ sein Gesicht in ihrer Erinnerung aufsteigen. Innig hoffte sie, die Linien der Bitternis möchten sich darin auf Dauer glätten. Dann aber flehte sie Maria an, vor allem ihr selbst beizustehen, wenn Ungehorsam und Neugierde sie wieder übermannten und wenn ihre Zunge zügellos wurde.
    Es sprach für Almuts großmütigen Geist, dass sie alle bösen Stunden des vergangenen Jahres vergessen hatte – Stunden, in denen sie mit Haft und Folter bedroht, an den Rand des Todes geführt und von marodierenden Söldnern vergewaltigt worden war.

21. Kapitel
    D as Jahr begann ruhig. Der Neujahrsmorgen war dem Besuch der Messe gewidmet, es gab wieder ein reiches Mahl, und den Nachmittag verbrachten die Beginen in ungewohntem Müßiggang. Sie lauschten den Geschichten, die Clara vorlas, schwatzten, hörten Ursula zu, die auf der Harfe musizierte, und Franziska, die noch ein paar freche Lieder beisteuerte. Almut gelang es, alle Gedanken an entführte Kinder und kopflose Leichen erfolgreich zu verbannen und den Feiertag zu genießen. Doch schon der darauf folgende Tag brachte reichlich Pflichten für sie, und dann holte sie das Verbrechen, das am Christtag geschehen war, mit aller Macht wieder ein.
    Doch zunächst verbrachte sie den Vormittag damit, zusammen mit den drei Seidweberinnen die Essensreste zu verteilen, wovon Pitter seinen redlichen Anteil abbekam. Anschließend löste sie Elsa von der Wache bei der alten Traute ab, die mit ihren über siebzig Jahren in diesem Winter die böse Entzündung ihrer Lungen wohl nicht überleben würde. Nachdem der Priester, der ihr die Sterbesakramente erteilt hatte, gegangen war, verbrachte Almut stille Stunden an dem Bett der mühsam atmenden Alten und las ihr mit leiser Stimme aus dem Psalter vor. Später schwieg sie und nahm nur hin und wieder die pergamenttrockene Hand der Sterbenden, damit sie fühlte, dass sie nicht alleine war. Die meiste Zeitlag die Alte in tiefem Schlummer, doch einmal öffnete sie mühsam die Augen und bewegte die Lippen. Almut beugte sich zu ihr hin, um sie besser zu verstehen.
    »Ihr seid zu jung, um Euch hinter der grauen Tracht zu verstecken!«
    »Aber nein, Frau Traute. Ich bin schon

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