Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Sünde der Brüder

Die Sünde der Brüder

Titel: Die Sünde der Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
Vom Netzwerk:
seinen
Namen genannt - und ihm die Hand gegeben. Doch Grey war damals als anonymer Fremder aufgetreten, und ihre Begegnung war notwendigerweise kurz gewesen.
    Gerade begrüßte Hal den Neuankömmling höflich, betrachtete ihn jedoch mit demselben kühlen, professionellen, abschätzenden Blick, den er auch aufgesetzt hätte, um sich einen Eindruck von einem Offizier zu machen, der neu in seinem Regiment war.
    Grey fand, dass Wainwright diesem prüfenden Blick bestens standhielt; er war gut gebaut, adrett und geschmackvoll gekleidet, er hatte eine reine Haut und ein klares Gesicht, und sein Verhalten verriet sowohl Humor als auch Fantasie. Bei einem Offizier konnten diese beiden Eigenschaften gefährlich sein, aber im Privatleben …
    Wainwright schien unterdessen seiner Neugier in Bezug auf Grey ganz diskret freien Lauf zu lassen, indem er ihm immer wieder kurze Blicke zuwarf - kein Wunder. Grey lächelte ihn an. Er freute sich über die Überraschung, die dieser neue »Bruder« darstellte.
    »Ich danke Euch«, sagte Wainwright, als Hal seine Begrüßung beendete. Er riss seine Aufmerksamkeit von Grey los und verbeugte sich vor Hal. »Euer Gnaden sind zu… gnädig.«
    Ein Augenblick betroffenen Schweigens folgte auf dieses letzte, halb erstickte Wort, als Wainwright eine Sekunde zu spät begriff, was er gesagt hatte.
    Hal erstarrte einen winzigen Moment, dann fasste er sich wieder und erwiderte die Verbeugung.
    »Aber nicht doch«, sagte er im Tonfall makelloser Höflichkeit. »Wollen wir essen, meine Herren?«
    Er wandte sich der Tür zu, ohne sich umzusehen. Das war auch gut so, dachte Grey angesichts der hastigen Gesten und Blicke, die zwischen dem General und seinem Stiefsohn hin und her gingen - schockierter Ärger auf Seiten des Ersteren, der zur weiteren Betonung die Augen verdrehte und sich kurz an die schäbige Perücke fasste; verlegene Entschuldigung auf
Seiten des Letzteren - eine Entschuldigung, die er wortlos auch an Grey richtete, dem er sich mit einer Grimasse zuwandte.
    Er zog einfach nur die Schulter hoch. Hal war daran gewöhnt - und er war schließlich selbst daran schuld.
    »Wir haben uns einen guten Tag ausgesucht. Es ist Donnerstag. Der Koch des Beefsteaks hat donnerstags ein ausgezeichnetes Rindsragout auf der Karte stehen. Mit Austern.«
     
    Sir George war so klug, sich nicht für den Schnitzer seines Sohnes zu entschuldigen, sondern mit den Greys ein Gespräch über die Feldzüge des vergangenen Herbstes zu beginnen. Percy Wainwright schien etwas nervös geworden zu sein, fand seine Fassung aber rasch wieder und lauschte der Unterhaltung allem Anschein nach gebannt.
    »Ihr seid in Preußen gewesen?«, fragte er, als Grey eine Reihe von Manövern an der Oder erwähnte. »Aber das 46ste ist doch zuletzt in Frankreich stationiert gewesen - oder irre ich mich?«
    »Nein, ganz und gar nicht«, erwiderte Grey. »Man hat mich vorübergehend zu einem preußischen Regiment abkommandiert, als Verbindungsoffizier zu den britischen Truppen, nach den Ereignissen von Kloster Zeven.« Er sah Wainwright mit hochgezogener Augenbraue an. »Ihr scheint ja gut informiert zu sein.«
    Wainwright lächelte.
    »Mein Stiefvater denkt darüber nach, ein Offizierspatent für mich zu erwerben«, gab er freimütig zu. »Ich habe in letzter Zeit viele Gespräche militärischen Inhalts mitbekommen.«
    »Das kann ich mir vorstellen. Habt Ihr schon ein Regiment gefunden, dem Ihr den Vorzug geben würdet?«
    »Eigentlich nicht«, sagte Wainwright, und seine leuchtenden Augen richteten sich gebannt auf Greys Gesicht. »Bis jetzt.«
    Greys Herz vollführte einen kleinen Satz. Er hatte sich sehr bemüht, den Anblick zu vergessen, den Percy Wainwright mit seinen zerzausten dunklen Locken und seiner offenen Halsbinde bei ihrer letzten Begegnung geboten hatte. Heute war
sein Haar genauso glatt gebürstet, gepudert und zu einem Zopf gebunden wie Greys; er trug nüchternes Blau, und sie standen sich als feine Herren gegenüber. Doch der Duft des Lavender House schien zwischen ihnen in der Luft zu schweben - ein Geruch nach Wein und Leder und dem scharfen, dunklen Moschus männlichen Verlangens.
    »Aber, Percy«, sagte der General ein wenig tadelnd. »Nicht so hastig, mein Junge! Wir müssen doch erst mit Oberst Bonham sprechen und mit Pickering.«
    »Aber ja«, sagte Grey unbeschwert. »Nun, Ihr müsst mir gestatten, Euch das Quartier des 46sten am Cadogan Square zu zeigen. Wenn wir mit einem anderen Regiment um die Ehre Eurer

Weitere Kostenlose Bücher