Die Suende der Engel
Momemt zum anderen, war so eindeutig, daß es keinen Zweifel mehr geben konnte.
»O nein«, flüsterte sie. Ihre Händen sanken herab. »Sie auch! Sie beide! Sie waren in einer Anstalt, ja? Deshalb gab es Sie nicht, deshalb durfte von Ihnen nicht gesprochen werden. Deshalb bekamen Sie Tabletten. Und deshalb wissen Sie so genau, was in Mario vorgeht.« Sie wich zurück. »Was haben Sie angestellt, daß man Sie einsperrte? Sie müssen etwas Schreckliches getan haben!«
Verzweifelt zerrte er an seinen Fesseln. »Ich bin gesund. Bitte glauben Sie mir! Ja, ich war in... in einer Klinik. Aber ich wäre in ein paar Wochen entlassen worden. Lieber Himmel, Christina - Sie heißen doch Christina, nicht? -, seien Sie jetzt nicht dumm! Wir müssen hier weg!«
»Ich mach’ Sie nicht los. Ich kann Sie nicht losmachen!« Sie wich noch ein Stück zurück.
»Christina, ohne mich schaffen Sie es nicht, von hier wegzukommen. Sie sind zu schwer verletzt. Binden Sie mich los, ich schwöre Ihnen, ich bringe Sie in Sicherheit!« Er starrte sie an, sah das tiefe, angstbedingte Mißtrauen in ihren Augen. Voller Wut und Furcht schrie er: »Verdammt noch mal, er wird uns töten! Er wird Sie töten, weil Sie sich als Trugbild erwiesen haben, und er wird mich töten, weil er sich von mir verraten fühlt. Wollen Sie das? Wollen Sie sterben?«
Sie schüttelte den Kopf. Er zerrte erneut an seinen Fesseln, merkte nicht, daß die aufgeschürfte Haut an seinen Gelenken bereits blutete. »Dann helfen Sie mir! So schnell Sie können! Helfen Sie mir!«
Wie hypnotisiert begann sie erneut an den Stricken herumzuzerren. Er schloß verzweifelt die Augen. Es ging so langsam, so langsam... Und er konnte nur warten und nichts tun, und dabei spürte er, daß das Mädchen nur mit
halber Entschlossenheit vorging, daß es Angst hatte, zögerte, nicht wußte, ob es das Richtige tat. Und dann, während er noch mit geschlossenen Augen versuchte, sich so weit zu entspannen, daß das Zittern nicht überhand nahm, da roch er es plötzlich. Im ersten Moment schien es sich noch um eine Sinnestäuschung zu handeln, aber dann wurde es immer deutlicher, und er konnte sich nichts mehr vormachen: Es roch nach Rauch. Und als er die Augen öffnete, sah er, daß am anderen Ende der Hütte, wo eine Wand aus Holz einen angebauten, ebenfalls hölzernen Schuppen abteilte, feiner Qualm durch die Ritzen der Bretter drang.
»Feuer«, sagte er, »Christina, beeilen Sie sich! Mein Bruder hat Feuer gelegt.«
Im ersten Moment fürchtete er, sie werde nun vor Schreck erstarren, aber sie zuckte nur kurz zusammen und arbeitete mit verdoppelter Energie weiter.
»Ich hab’ es gleich«, flüsterte sie.
Abrupt wurde die Tür zur Hütte aufgestoßen, und Mario stand auf der Schwelle. Sein Gesicht war weiß, seine Augen glühten vor Euphorie. Tina hielt sofort inne und rutschte ein Stück von Maximilian weg. Mario schien jedoch gar nicht bemerkt zu haben, was vor sich ging. Er verzog den Mund zu einem grausigen Lächeln.
»Tina«, sagte er zärtlich. Er trat in die Hütte, ging auf sie zu. Seinen Bruder beachtete er nicht.
»Tina!« Er kniete vor ihr nieder, hob eine Hand, strich ihr zärtlich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Wie schön du bist«, flüsterte er, »so wunderschön!«
Der Qualm drang immer stärker in die Hütte. Nicht mehr lange, und die Pfeiler würden brennen, die Dachbalken, die hölzerne Einrichtung. Tina hustete. »Mario, ich möchte leben!« sagte sie leise.
Er schüttelte den Kopf, heiter lächelnd. »Es ist besser
so, glaube mir. Du findest die Erlösung. Die Flammen werden dich reinigen.«
Tina hustete abermals. Der Rauch biß in ihren Augen. Maximilian sagte kein Wort, er wollte die Aufmerksamkeit seines Bruders keinesfalls auf sich lenken. Wie wild arbeitete er an seinen Fesseln. Tina hatte es schon fast geschafft, es blieb nur noch ein Knoten.
»Du solltest deinen Traum nicht beenden, Mario«, sagte Tina. »Ich bin dein Traum. Gib uns eine Chance.«
Ja, dachte Maximilian, rede mit ihm. Lenk ihn ab...
Erneut schüttelte Mario den Kopf, diesmal voller Bedauern. »Du hast mich getäuscht. Du kannst nichts dafür, es ist in dir. Es ist in allen Frauen. Ich wußte es schon auf unserer Reise... als ich dich durch das Kellerfenster sah. Mit wieviel Lust du deinen Körper zur Schau gestellt hast!«
Tina fühlte Übelkeit in sich aufsteigen.
»Du warst das«, flüsterte sie, »der Mann am Fenster...« Obwohl es keine Rolle mehr spielte, entsetzte sie diese
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