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Die Suende der Engel

Die Suende der Engel

Titel: Die Suende der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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Entdeckung zutiefst. Schon damals hatte er begonnen, den Verstand zu verlieren. Und sie hatte sich noch so sicher gewähnt...
    »Bald ist alles überstanden«, tröstete Mario sie zärtlich. Der Rauch zog bereits durch den ganzen Raum. Von drau-βen war das Prasseln der Flammen zu hören. Es hatte seit Mitte April nicht mehr geregnet, sie fanden reichlich Nahrung.
    »Es wird ein Opfer sein und eine Erlösung. Es ist ein großer Moment!« Er strahlte, erleuchtet von einer tiefen Freude.
    Und in diesem Moment gab der letzte Knoten in den Fesseln um Maximilians Gelenke nach. Die Stricke fielen zu Boden. Er war frei.
    Er zögerte keine Sekunde. Er sprang auf, hob beide
Arme und ließ die Fäuste in Marios Nacken krachen. Mario kippte um wie ein gefällter Baum und blieb reglos liegen.
    »Los«, schrie Maximilian, »raus hier!«
    Inzwischen brannte die Hütte lichterloh. Der Qualm stand so dicht in dem kleinen Raum, daß man Fenster, Wände, Möbel kaum noch erkennen konnte. Hustend und keuchend ertastete sich Maximilian einen Weg zur Tür, die vor Schmerzen wimmernde Tina hinter sich herziehend. Er hatte keine Ahnung, wie es ihm gelang, die Tür zu finden. Er riß sie auf, schnappte nach Luft wie ein Ertrinkender. Tina hing in seinen Armen. Er hätte sie am liebsten von sich gestoßen und angeherrscht, sie solle allein weiterkriechen, er müsse sofort zurück und seinen Bruder aus den Flammen retten, aber es war nicht daran zu denken, daß Tina, aus der jetzt alle Energie wich, allein auch nur fünf Schritte weit kam. Er mußte sie zuerst aus der Gefahrenzone bringen, ehe er sich um seinen Bruder kümmerte.
    Hinter ihnen schlugen die Flammen hoch in den Nachthimmel. Krachend stürzten Teile des Daches ein. Tina, die ihre Schmerzen fast nicht mehr ertragen konnte, wehrte sich vehement gegen Maximilian und wußte dabei kaum, was sie tat.
    Und dann ging alles plötzlich sehr schnell: Von irgendwoher gellte der angstvolle Schrei einer Frau. »Mario!«
    Und kaum eine Sekunde später fiel ein Schuß, kaum hörbar vor dem tosenden Hintergrund des Brandes; es klang eher wie das Knallen eines Sektkorkens. Maximilian sank in die Knie und fiel dann langsam, im Zeitlupentempo, vornüber, genau auf Tinas verletztes Bein.
    Sie brachte nur noch ein leises Seufzen hervor, ehe sie zum zweiten Mal in dieser Nacht das Bewußtsein verlor. Erst viel später sollte sie sich daran erinnern, daß sie direkt
in das Gesicht des Fremden geblickt hatte, der geschossen hatte, und daß in seinen Augen Haß und grimmige Freude gewesen waren.
    Für alle Zeit blieben Bilder und Eindrücke dieser Nacht gestochen scharf in Janets Gedächtnis. Da waren die vielen Hubschrauber in der Luft, Polizei, Feuerwehr, Sanitäter. Wer hatte sie informiert? Es konnte nur Andrew gewesen sein, der zum Wagen zurückgerannt war, in halsbrecherischem Tempo den steilen Pfad hinunter, um vom Autotelefon des Mietautos aus bei der Polizei anzurufen und ihnen eine ungefähre Ortsbeschreibung durchzugeben - die weithin sichtbaren Flammen wiesen ohnehin den Weg. Währenddessen saß sie, Janet, im Gras vor der brennenden Hütte und hielt ihren sterbenden Sohn in den Armen. Wie durch einen Nebel entsann sie sich eines Zweikampfes, der sich zuvor zwischen ihr und Andrew abgespielt hatte, als ihr in den Sinn gekommen war, daß sich ihr anderer Sohn womöglich noch im Innern der Hütte aufhielt. »Laß mich, ich muß ihn holen, ich muß da rein!«
    »Es geht nicht, Janet! Es hat keinen Sinn! Das brennt doch schon alles!« Er hatte sie geschüttelt, hatte sie umklammert gehalten, daß es schmerzte, war den Schlägen und Tritten, mit denen sie sich freizustrampeln versuchte, ausgewichen. Sie hatte seinen schweren Atem an ihrem Ohr hören können, und dahinter das schreckliche Prasseln und Tosen der Flammen, das Krachen, mit dem die Hütte in sich zusammenfiel. Und dann, von einem Moment zum anderen, war ihr Widerstand gebrochen, schlaff und wehrlos hing sie in Andrews Armen. Er wartete einen Augenblick, um sicherzugehen, daß sie nicht sofort wieder rebellisch wurde, aber sie regte sich nicht. Er setzte sie ins Gras und drückte ihr ein Taschentuch in die
Hand mit der Anweisung, es so fest sie konnte auf eine Wunde zu pressen, aus der in pulsierenden Stößen Blut drang. Erst nach ein paar Minuten realisierte sie, daß es nicht ihr Körper, sondern der ihres Kindes war, der hier mit dem Tod kämpfte und den Kampf doch bereits verloren hatte. Ein Stück weiter weg im Gras lag das blonde

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