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Die Suende der Engel

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Titel: Die Suende der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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unter der Schärfe seiner Stimme.
    Daheim war niemand, das Haus so still und leer, wie sie es verlassen hatten. Allerdings klingelte wenige Minuten nach ihrer Ankunft das Telefon; es war wiederum Phillip, der es bereits seit einer halben Stunde ständig versucht hatte. Er schien am Ende seiner Nervenkräfte.
    »Habt ihr irgend etwas entdeckt?« fragte er sofort.
    »Nein«, antwortete Janet, »und mir fällt jetzt nichts mehr ein, wo man noch suchen könnte.«
    In dieser Sekunde hatte Phillip einen Geistesblitz. »Die Hütte«, rief er, »hältst du es für möglich, daß er...«
    »Guter Gott«, sagte Janet, »daß ich daran nicht gedacht habe! Die Hütte! Wir fahren sofort dorthin!«
    Sie wollte schon auflegen, aber seine Stimme hielt sie zurück.
    »Janet! Was weißt du von Mario? Was ist geschehen? Warum...«
    »Später«, unterbrach sie ihn, und warf den Hörer auf die Gabel.
    Fünf Minuten danach saßen sie und Andrew wieder im Auto und rasten durch die Nacht.

SAMSTAG, 10. JUNI 1995
    Als Tina das Bewußtsein wiedererlangte, hatte sie ein paar gnädige Augenblicke lang keine Ahnung, was geschehen war und wo sie sich befand. Ihr Bein schmerzte, aber sie wußte nicht sofort, was es damit auf sich hatte. Sie öffnete die Augen, sah über sich die hölzernen Balken, die das Dach der Hütte trugen, und wußte Bescheid. Sie richtete sich auf.
    Es herrschte noch immer nächtliche Finsternis, doch in der Hütte brannte eine Öllampe und verbreitete ein schwaches Licht. Tina lag auf ihrer Decke. Jemand - Mario? - hatte ihr einen nassen, kalten Lappen um das Fußgelenk geschlungen. Sie hatte den Eindruck, daß dies die Schmerzen ein wenig linderte.
    »Mario?« fragte sie halblaut.
    »Sind Sie wach?« erklang es. Jetzt erst bemerkte sie, daß Mario - oder sein Zwillingsbruder oder wer auch immer - auf dem Fußboden gleich neben dem Tisch saß, und sie erkannte, daß er mit beiden Händen an das Tischbein gefesselt war. Außerdem verlief ein verkrustetes Rinnsal Blut von seiner Nase über die Lippen zum Kinn hinunter. Das Lid seines linken Auges schien angeschwollen.
    Sie starrte ihn an, wollte sich vergewissern, daß sie keinem Trugbild erlag. Ihr Verstand mühte sich, umzusetzen, was ihre Augen sahen, und logische Schlüsse daraus zu ziehen: Wenn dieser Mann dort gefesselt war, und wenn sie mit einiger Sicherheit ausschließen konnte, daß
sie ihn gefesselt hatte, dann gab es hier tatsächlich eine dritte Person. Einen Zwillingsbruder?
    »Ja«, sagte sie nun auf die Frage des Mannes.
    »Gott sei Dank, ich dachte schon, Sie wachen überhaupt nicht mehr auf. Es hat Sie ganz schön hingehauen vorhin. Was macht das Bein?«
    »Es tut weh. Aber es geht, wenn ich es nicht bewege.«
    »Wir sind in einer etwas brenzligen Lage. Ich versuche seit einer halben Stunde, diese Fesseln hier loszuwerden, aber bis jetzt bluten nur meine Hände, sonst hat sich nichts getan.«
    »Hat Ihr Bruder Sie so zugerichtet?«
    Er nickte. »Er hat mich niedergeschlagen. Er kam von hinten, und ich lag am Boden, ehe ich kapierte, was los ist. Ich hätte nicht gedacht, daß er mir gegenüber so brutal werden könnte.«
    Tina mußte an den Abend in der Diskothek denken. Seither wußte sie, wie brutal Mario sein konnte.
    »Ich habe Angst«, sagte sie.
    Er ruckte heftig an den Stricken. »Ich fürchte, die lokkern sich kein bißchen«, murmelte er, »er hat sie zigfach verknotet!«
    »Wo ist er jetzt? Ist er weggegangen und überläßt uns hier unserem Schicksal?«
    Der junge Mann schüttelte den Kopf. »Wohl kaum, nein. Er wird zurückkommen. Und es wäre verdammt gut, wenn wir bis dahin fort wären.«
    »Er hat mir einen kalten Umschlag um mein Bein gemacht«, sagte Tina, »das war doch er, oder? Er kann doch nichts wirklich Schlimmes mit mir vorhaben, sonst würde er sich nicht um mein Bein kümmern!« Ihre Stimme hörte sich flehend an, sie hatte einen Hoffnungszipfel ergriffen und wünschte von ganzem Herzen, er möge sich als haltbar erweisen. Dabei wußte sie genau, daß es keinen Sinn
hatte, zu hoffen. Mario war verrückt, sein Handeln war nicht mit Logik zu messen. Er war in der Lage, sich liebevoll ihrer Verletzung anzunehmen und ihr im nächsten Augenblick den Hals umzudrehen.
    Sie bekam keine Antwort auf ihre Frage und begriff, daß sich auch Marios Bruder nichts vormachte. In ihrer Stimme klang ein unterdrücktes Schluchzen, als sie fragte: »Wie heißen Sie?«
    Er sah sie abschätzend an. »Maximilian«, sagte er dann.
    »Maximilian - was ist

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