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Die Suende der Engel

Die Suende der Engel

Titel: Die Suende der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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daß er geisteskrank war, wunderte sich Tina nicht einmal mehr. »Mein Bein«, flüsterte sie, »es tut so entsetzlich weh. Der Knöchel muß doch gebrochen sein.« Ihr Gesicht war kalkweiß, ihre Lippen grau.
    Er kauerte sich wieder zu ihr auf den Boden. »Sie werden sich bestimmt wundern, und es ist leider keine Zeit, Ihnen alles ganz genau zu erklären, aber ich bin nicht der, für den Sie mich halten. Ich bin der Zwillingsbruder. Ich vermute, Sie wissen nichts von meiner Existenz.«
    Er ist schizophren, dachte Tina, er gehörte längst in eine Anstalt.
    Sie bemerkte, daß die Hände des jungen Mannes heftig zitterten. »Natürlich«, sagte sie beruhigend, »ich verstehe.«

    Er seufzte. »Sie glauben mir nicht. Ich weiß nicht, welche Kleidung mein Bruder heute trägt, aber vermutlich nicht die gleiche wie ich, oder?«
    Tina runzelte die Stirn. Es war ihr nicht sofort aufgefallen, aber nun bemerkte sie es: Marios Jeans waren vorhin von einem helleren Blau gewesen, und er hatte dazu ein weißes Hemd getragen. Wie war er plötzlich in ein blaues, ziemlich dreckiges T-Shirt geraten?
    Sie stöhnte auf. »Ich glaube, ich verliere den Verstand«, flüsterte sie.
    Der Mann, der aussah wie Mario und sich als dessen Bruder ausgab, musterte sie mitleidig. »Ich verspreche, ich erkläre Ihnen alles. Aber jetzt müssen wir sehen, daß wir hier wegkommen. Mein Bruder ist gefährlich. Wenn Sie sich auf mich stützen, meinen Sie, daß Sie dann laufen können?«
    Sie nickte, ergeben in ihr Schicksal, denn wenn sie auch nichts mehr begriff, wenn sie vielleicht längst selber verrückt geworden war, so konnte sie doch nichts tun, als sich in alles fügen, was auf sie zukam.
    Sehr vorsichtig zog er sie in die Höhe, aber ihr wurde trotzdem übel vor Schmerzen, aber vielleicht auch vor Hunger. Mühsam kämpfte sie um ihr Gleichgewicht. Als sie aus der Dunkelheit jenseits der Tür hinter dem Mann, der behauptete, Marios Zwillingsbruder zu sein, den Mann auftauchen sah, den sie als Mario kannte, versagten ihre Nerven; sie schrie auf und rutschte zu Boden, unaufhörlich weiterschreiend. Sie traf so unglücklich auf, daß der Schmerz, der in ihrem Bein lostobte, alles Bisherige übertraf und dafür sorgte, daß sie in den dunklen, tröstlichen Schutz einer Ohnmacht fallen konnte.
    Nach dem zehnten Restaurant, das sie ergebnislos angefahren hatten, sagte Andrew, er könne sich nicht vorstellen,
daß dies noch etwas bringen werde. »Es ist gleich Mitternacht. Die beiden sind vielleicht längst wieder daheim. Janet, wir können nicht das ganze Land nach ihnen durchkämmen!«
    Sie hatten am Ortsausgang eines kleinen Städtchens angehalten, um weiter zu überlegen. Janet hatte hier ein Gartenrestaurant aufgesucht, in dem sie früher manchmal gewesen waren, aber inzwischen arbeiteten dort völlig andere Leute, die sich nicht erinnern konnten, Mario hier gesehen zu haben. Sie berichteten, in der Diskothek ein Stück die Straße hinunter sei am gestrigen Abend ein junger Mann bei einer Schlägerei ums Leben gekommen, und Janet erstarrte vor Schreck, aber sie konnten sie beruhigen: Der junge Mann war Franzose gewesen, stammte aus der Stadt. Der Täter sei geflohen, aber er habe wohl nichts zu tun mit dem Mann, den sie suchten? Nein, entgegnete Janet, das habe nichts miteinander zu tun.
    Sie hatten sich, obwohl beide seit Jahren mit wechselnder Konsequenz Nichtraucher, eine Schachtel Zigaretten gekauft und qualmten nun, im Auto sitzend, vor sich hin. Andrew war inzwischen überzeugt, daß Janet Kenntnis von einer Geistesstörung bei Mario hatte, anders wäre ihre Panik nicht zu erklären gewesen. Er mußte sich ständig bemühen, seine Verärgerung über sie nicht zum Ausdruck zu bringen. Wie hatte sie so verdammt leichtsinnig und verantwortungslos sein können! Vermutlich jahrelang ein hochbrisantes Geheimnis mit sich herumzutragen, aus falsch verstandener Mutterliebe den Mund zu halten, damit ihrem Goldjungen nichts zustieß... Unwillkürlich mußte er an Mrs. Corvey denken, Freds Mutter, die für ihren Sohn gelogen hatte, ohne mit der Wimper zu zucken. Er hatte sie nicht verstanden, und er verstand nun auch Janet nicht. Die Erinnerung an Corvey schwemmte eine neue Zorneswelle in ihm hoch; mit einer
unbeherrschten Bewegung kurbelte er das Fenster hinunter und warf seine Zigarette auf die Straße. Dann ließ er den Motor wieder an.
    »Wir fahren jetzt zum Haus zurück und sehen nach, ob sie dort sind«, bestimmte er, und Janet zuckte zusammen

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