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Die Suende der Engel

Die Suende der Engel

Titel: Die Suende der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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zugleich zu den schlanksten. Er war früher fast mager gewesen, und das hatte sich kaum geändert. Es hing mit seiner chronischen Nervosität zusammen, nahm Janet an. Fast immer, wenn er redete, zuckte es um eines seiner Augen; der überwache Ausdruck seines Gesichtes verriet eine extrem angespannte Wahrnehmungsbereitschaft gegenüber allem, was um ihn herum vorging. Früher, das wußte Janet nur zu gut, hatte vor allem sein brennender Ehrgeiz dafür gesorgt, daß er keine Sekunde abschalten konnte, und heute war das vermutlich noch immer so. Als sie einander zum erstenmal trafen, war Janet sechzehn gewesen, Andrew siebenundzwanzig. Er hatte in Cambridge studiert und strebte bei Janets Vater eine Promotion an. Manchmal hatte Janet geargwöhnt, er habe sich deshalb mit ihr angefreundet, aber sehr schnell
stellte sich heraus, daß er sich damit in jedem Fall verrechnet hätte, denn Professor Hamilton, Janets Vater, geriet außer sich, als er hinter die Liaison kam. Andrew blieb trotzdem bei Janet und promovierte schließlich bei einem anderen Professor. Er tat alles für seinen Erfolg, aber er ließ sich nicht erpressen. Bei all seinem Ehrgeiz zog er doch eine eindeutige Grenze dort, wo er sich selbst hätte verraten müssen.
    Nach der Party, als Andrew Janet vor ihrem Hotel absetzte, sagte er: »Es war schön, daß du dabei warst, Janet. In den letzten drei Jahren bin ich überall allein hingegangen. Ich wußte gar nicht mehr, wieviel Spaß es zu zweit macht.«
    Unvermittelt fragte Janet: »Warum hast du dich von deiner Frau getrennt?«
    Andrew schwieg einen Moment überrascht, dann erwiderte er: »Anderthalb Jahre vor unserer Scheidung hatte ich eine Affäre. Ich habe sie wirklich relativ schnell beendet, aber Clare kam nicht darüber hinweg. Zum Schluß drehte sie durch, wenn ich nur zehn Minuten später daheim war, als ich angekündigt hatte. Irgendwann hatte es einfach keinen Sinn mehr.«
    Janet lächelte etwas bitter. »Immer noch der alte«, sagte sie. Sie öffnete die Wagentür, stieg aus.
    »Bleib sitzen«, sagte sie, als sie bemerkte, daß Andrew ebenfalls aussteigen wollte, um sie zu verabschieden. »Heute möchte ich keinen Gutenachtkuß.« Sie schlug die Tür zu und lief zum Hoteleingang. Andrew stieg trotzdem aus, blieb aber neben seinem Wagen stehen. »Morgen ist Sonntag«, rief er hinter Janet her, »wir könnten aufs Land fahren!«
    Sie wandte sich nicht um. »Hol mich um zehn Uhr ab«, erwiderte sie und verschwand durch die Drehtür.

SONNTAG, 28. MAI 1995
    Tina hatte gewußt, daß der Abend mit Mario und ihrem Vater in einem Fiasko enden würde, und tatsächlich schien von Anfang an alles schiefzugehen. Schon das Essen mißglückte. Tina war eine recht gute Köchin, aber an diesem Sonntag wollte ihr nichts gelingen. Das Fleisch blieb zäh, das Gemüse schmeckte zuerst fad, später, als sie es nachgewürzt hatte, war es zu salzig. Die Vorspeise, eine Suppe, war einigermaßen in Ordnung, dafür brannte der Boden der Erdbeertörtchen, die es zum Nachtisch geben sollte, leicht an. Nur mit Mühe schaffte es Tina, nicht in Tränen auszubrechen; es hätte dem Abend die Krone aufgesetzt, wenn sie mit verheulten Augen herumgelaufen wäre. Michael deckte im Eßzimmer den Tisch und benutzte dafür das beste Porzellan, die schönsten Gläser, das alte Silber aus Mariettas Familienerbe. Tina wußte, daß er das keineswegs tat, um Mario besonders zu ehren, sondern um ihn von vorneherein einzuschüchtern. Ihm lag nicht das geringste daran, diese erste Begegnung mit dem Freund seiner Tochter zwanglos über die Bühne gehen zu lassen. Im Gegenteil. Später verschwand er in seinem Zimmer, und als er wiederkam, trug er einen dunklen Anzug, hatte die grauen Haare sorgfältig gebürstet und sah aus wie ein englischer Lord.
    Unnahbarer könnte nicht einmal die Queen auftreten, dachte Tina schaudernd.
    Mario erschien pünktlich um sieben Uhr. Er hatte vor
dem Haus im Auto gewartet, um mit dem Glockenschlag die Türklingel zu betätigen. Er überreichte Tina einen Blumenstrauß, ihrem Vater eine Flasche Wein. Auf den ersten Blick stand fest, daß Michael ihn nicht mochte.
    Die Unterhaltung kam beim Essen nur schleppend in Gang. Ganz gleich, welches Thema Mario und Tina auch anschnitten, Michael antwortete so einsilbig, daß kein Gespräch entstehen konnte. Mario wurde darüber so nervös, daß ihm zweimal klirrend die Gabel auf den Teller fiel und er sich beim Trinken heftig verschluckte, minutenlang mit einem Hustenreiz zu

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