Die Sünderin
das Bad, die Treppe und die Diele so gründlich wie nie zuvor. Es musste alles pieksauber sein.
Um elf brachte sie ihren Sohn zur Schwiegermutter und ging mit zwei leeren Einkaufstaschen in der Hand zum Wagen. Das Auto schien ihr die einfachste Lösung. Doch als sie losfuhr, verwarf sie den Gedanken wieder. Gereon war auf den Wagen angewiesen. Wie sollte er sonst am Montag zu den Kunden kommen? Es war auch nicht ihre Art, etwas zu zerstören, das so viel Geld gekostet hatte wie ein neues Auto.
Sie fuhr aus Gewohnheit zum Supermarkt. Während sie den Einkaufskorb füllte, wägte sie andere Möglichkeiten ab. Auf Anhieb fiel ihr nichts ein. Vor der Wursttheke wartete ein Dutzend Frauen. Und sie fragte sich, wie viele von ihnen den Abend herbeisehnten und wie viele ebenso empfinden mochten wie sie. Keine! Davon war sie überzeugt.
Sie war die Ausnahme. Sie war immer eine Ausnahme gewesen, die Außenseiterin mit dem Stempel auf der Stirn. Cora Bender, fünfundzwanzig Jahre alt, zierlich und schlank, seit drei Jahren verheiratet, Mutter eines knapp zweijährigen Sohnes, den sie praktisch im Stehen bekommen hatte, gleich nach dem Einsteigen in den Krankenwagen.
Eine Sturzgeburt, hatten die Ärzte gesagt. Ihre Schwiegermutter sah das anders. «Da muss eine nur lange genug herumgehurt haben, dann ist sie da unten weit genug, um ein Kind auf die Weise zu verlieren. Wer weiß denn, was sie vorhergetrieben hat! Was Gutes kann es nicht gewesen sein, wenn ihre Eltern nichts mehr von ihr wissen wollen. Nicht mal zur Hochzeit sind sie gekommen. Da fragt man sich doch: Warum nicht?»
Cora Bender, rötlich braunes schulterlanges Haar, das so über die Stirn fiel, dass es die Kerbe im Knochen und die gezackte Narbe verdeckte. Ein hübsches schmales Gesicht mit einem suchenden, ratlosen Ausdruck, als hätte sie nur vergessen, eine bestimmte Ware in den Korb zu legen. Kleine Hände, mit denen sie die Griffstange des Warenkorbs so fest umklammerte, dass die Knöchel weiß und spitz hervortraten. Braune Augen, die unruhig über die Waren im Drahtkorb glitten, die Joghurtbecher abzählten, an der Pappschale mit den Äpfeln hängen blieben. Sechs Äpfel, dick und saftig, mit gelblicher Schale. Golden Delicious. Sie liebte diese Sorte. Sie liebte auch ihr Leben. Aber es war keins mehr. Genaugenommen war es nie eins gewesen. Und dann fiel ihr ein, wie sie es zu Ende bringen konnte.
Am Nachmittag, als die ärgste Mittagshitze überstanden war, fuhren sie zum Otto-Maigler-See. Gereon saß am Steuer. Er war nicht begeistert gewesen von ihrem Vorschlag, aber widersprochen hatte er nicht. Er zeigte seinen Unmut auf andere Weise, nicht ahnend, dass er damit ihren Entschluss bekräftigte. Eine Viertelstunde kurvte er über den staubigen Parkplatz, der dem Eingang am nächsten lag.
Weiter hinten gab es freie Plätze. Sie machte ihn mehrfach darauf aufmerksam. «Ich hab keine Lust, den ganzen Kram so weit zu schleppen», sagte er.
Es war heiß im Wagen. Während der Fahrt hatten sie die Scheiben nicht herunterdrehen dürfen. Das Kind hätte sich in der Zugluft leicht erkälten können. Als sie losfuhren, war sie ruhig gewesen. Die Kurverei machte sie nervös. «Jetzt mach schon», verlangte sie. «Sonst lohnt es sich nicht mehr.»
«Was hast du es denn so eilig? Es kommt ja wohl auf ein paar Minuten nicht an. Vielleicht fährt einer weg.»
«Blödsinn. Um die Zeit fährt noch keiner heim. Jetzt mach endlich, oder lass mich aussteigen, dann gehe ich vor. Dann kannst du von mir aus bis heute Abend hier herumkurven.»
Es war vier Uhr. Gereon verzog das Gesicht, aber er schwieg, fuhr ein Stück im Rückwärtsgang, obwohl er wusste, dass sie das nicht vertrug. Dann parkte er endlich ein, so dicht neben einem anderen Wagen, dass sich die Tür an ihrer Seite nicht ganz öffnen ließ.
Sie zwängte sich ins Freie, erleichtert über den schwachen Lufthauch, der ihr über die Stirn strich. Dann beugte sie sich zurück in den stickigen Wagen, griff nach der Umhängetasche, hängte sie sich über die Schulter und befreite das Kind aus dem Spezialsitz im Wagenfond. Sie stellte ihren Sohn neben den Wagen auf seine Füße und ging nach hinten, um Gereon beim Ausladen zu helfen.
Sie hatten alles dabei, was man für einen Nachmittag am See brauchte. Es sollte später niemand eine Absicht vermuten. Die Decke und den Sonnenschirm klemmte sie sich unter den Arm, über dem sie bereits die Umhängetasche trug. Die beiden Klappsessel packte sie mit einem
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