Die Sünderin
schneller gegangen als erwartet. Ein Tag im Februar. Und sie stand am Fenster. Und hinter ihr auf dem Bett lag der kleine Koffer, den Margret ihr vor einer Ewigkeit, auf jeden Fall in einem anderen Leben, ins Büro des Chefs gebracht hatte.
Sie dachte an Margrets kleine Wohnung. Ein Platz auf der Couch, mehr konnte Margret ihr nicht bieten, das Duschbad so eng, dass man sich an der Tür die Knie stieß, wenn man sich auf die Toilette setzte. Es war ein neuer Anfang dort, wo sie schon einmal begonnen hatte zu leben. Morgens sollte sie aus der Wohnung gehen, abends sollte sie zurückkommen. Es wäre dann fast so, als sei sie nur zur Arbeit fort gewesen. Nur dass sie diesmal nicht ins Café an der Herzogstraße, sondern in eine Tagesklinik gehen sollte.
Der Professor war überzeugt, dass sie es schaffte, weil Margret ihr Vorbild einer Frau mit revolutionären Ansichten war. Er war auch überzeugt, dass er sie an den Punkt gebracht hatte, den man ihr vor fünf Jahren verweigert hatte. Das war nicht ganz richtig so. Der Chef hatte sie an diesen Punkt gebracht. Aber sie hatte dem Professor nicht widersprochen, um ihn nicht zu kränken und zu verhindern, dass er seine Meinung über ihre Fortschritte noch einmal revidierte.
Und Eberhard Brauning hatte gesagt: «Frau Bender, wir können sehr zufrieden sein.»
Sie war nicht zufrieden. Sie sah immer noch Frankies Gesicht. Wie er sie anschaute und ihre Hand losließ. Und wie er kurz zuvor die Hand seiner Frau losgelassen, wie er gerufen hatte: «Nein, Ute, es reicht jetzt. Das nicht. Tu mir das nicht an!» Ute hatte ihm nichts angetan.
In einem ihrer Gespräche hatte der Professor gesagt, Frankie habe den Tod gesucht. Über diesen Satz hatte sie lange gegrübelt.Zu einem Ergebnis war sie nicht gekommen. Fest stand nur, Frankie hatte den Tod geliebt – einmal. Und dann hatte er eine Frau gesucht, die dem Tod aufs Haar glich.
Eberhard Brauning kam kurz vor vier. Er wollte ihren Koffer nehmen. Sie lehnte das ab, verabschiedete sich von Mario und folgte ihrem Anwalt auf dem Weg nach draußen.
Als er sich neben sie in seinen Wagen setzte, sagte er: «Ich habe gestern noch einmal mit Ihrem Mann gesprochen, Frau Bender. Es tut mir sehr Leid, dass ich nichts erreicht habe.»
Sie zuckte mit den Schultern und richtete den Blick nach vorne. Gereon hatte die Scheidung eingereicht, anders hatte sie es nicht erwartet. Obwohl sie zuletzt gehofft … Wo sie doch bis zu dem Moment am See eigentlich nichts Schlimmes getan hatte. «Es macht nichts», sagte sie. «Ich dachte auch nur, er hätte sich das noch einmal überlegt. Aber wenn er nicht will, da kann man nichts machen. Es ist vielleicht besser so. Vorbei ist vorbei, nicht wahr?»
Eberhard Brauning nickte und konzentrierte sich auf den Verkehr. Sie fragte: «Muss ich dabei sein? Das können Sie doch sicher ohne mich regeln. Sagen Sie einfach, ich müsste den ganzen Tag in dieser Klinik sein. Ich dürfte nur abends raus. Und sagen Sie Gereon, ich will die Einbauküche und meine persönlichen Sachen. Und wenn ich hin und wieder vielleicht das Kind sehen dürfte. Es muss nicht oft sein und auch nicht lange. Einmal im Monat für ein oder zwei Stunden, das reicht mir. Solange ich noch bei Margret bin, kann Gereon ja abends mal mit ihm vorbeikommen. Ich will nur sehen, ob’s dem Kleinen gut geht.»
Eine Antwort erwartete sie nicht. Sie schaute ihn auch nicht an, ob er nickte. Nach ein paar Sekunden Stille wollte sie wissen: «Wie lange kann das dauern mit dieser Therapie? Ein Jahr oder zwei?»
«Das kann man so nicht sagen, Frau Bender. Das hängt von vielen Faktoren ab. In der Hauptsache natürlich von Ihnen.»
«Das dachte ich mir. Es hängt immer alles nur von mir ab in der Hauptsache.» Sie lachte leise. «Dann will ich mir mal Mühe geben. Ich kann nicht ewig bei Margret bleiben. Und mir eine eigene Wohnung suchen, das lohnt sich nicht. Ich muss so schnell wie möglich nach Hause. Haben Sie etwas Neues von meinem Vater gehört?»
Er wusste nicht, was er ihr darauf antworten sollte. Rudolf Grovian hatte es übernommen, ihr zu erklären, dass ihr Vater tot war. «Ich mache das schon. Ich bin ohnehin der Sündenbock für sie.» Kurz nachdem er mit ihr in Frankfurt gewesen war, hatte Rudolf Grovian es ihr gesagt. Das wusste Eberhard Brauning mit Sicherheit.
Sie schaute nach vorne auf die Straße. «Ich habe mir schon gedacht», sagte sie, «dass Gereon die Scheidung nicht zurücknimmt. Und da ist es am besten, ich gehe dahin,
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