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Die Tänzer von Arun

Titel: Die Tänzer von Arun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth A. Lynn
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nennt man Propheten. Ich kann gerade genug vorhersehen, um zu wissen, wo das Messer eines Mannes im nächsten Augenblick sein wird, ich erkenne das klar daran, wo es sich jetzt befindet ...« Das Sternenlicht legte sich wie Silber auf den Wasserfall seiner Haare. Seine Arme flogen in wirbelndem Tanz nach außen, blockten ab, konterten einen imaginären Stoß ...
    Ehe sein Hirn seine Zunge bremsen konnte, sagte Kerris: »Was war das für ein Versprechen, das du nicht gehalten hast?«
    Kel ließ den Kopf über seine plötzlich stillen Hände sinken. »Kannst du das nicht erraten?«
    »Ich will es nicht erraten müssen!«
    »Ich war dreizehn«, sagte Kel. Er hob die Weinflasche und trank. Die Halsmuskeln spielten im Mondlicht. »Am Tag, als die Karawane aus Elath nach Norden zog, habe ich unserer Mutter versprochen, wenn ihr oder unserem Vater irgend etwas zustoßen sollte, würde ich für dich sorgen. Der Vater war im Süden von Shanan und kämpfte gegen die Asech. Ich habe ihn niemals wiedergesehen. Ich zog im Jahr darauf in den Krieg. Endlich drang die Nachricht aus Tornor zu mir, daß die Karawane auf der Reise in den Norden in einen Hinterhalt geraten war, daß Mutter tot war, daß du aber noch lebtest ... Damals hätte ich nach Tornor gehen und dich holen müssen, dich nach Elath zurückbringen müssen. Ich habe es nicht getan. Sogar als du mich vor vier Jahren gerufen hast, habe ich es hinausgezögert.«
    Kerris erinnerte sich an die Jahre der Verbanntheit, die Zeiten der Pein und Frustration, des Verachtetseins. Er spürte, wie eine Welle von Zorn in ihm aufstieg, eine Wut, wie er sie noch niemals empfunden hatte. Das Gefühl strömte aus ihm, und er spürte, wie es in das Gehirn seines Bruders eindrang. Kel stöhnte. Gleichzeitig fühlte Kerris eine Qual, die lanzenscharf durch seine Stirn stieß. Er schauderte vor Kälte und holte seinen Zorn zurück. Er hatte nicht gewußt, daß er solche Schmerzen bereiten konnte. Er würde vorsichtig sein müssen ...
    Kel sagte: »Du hast das Recht, mir böse zu sein, Kerris.«
    Kerris glaubte fast, er höre Josens Stimme: Laß es kommen und laß es vergehen! hatte der alte Mann gesagt.
    »Ich weiß«, sagte er. »Aber ich brauche ja nicht länger zornig zu sein. Hier bin ich, und du bist gekommen!«
    Und während er dies sagte, schloß sich Angst wie eine Faust um sein Herz.
    Seine Gedanken wurden verschwommen. Kel? dachte er und hörte seinen Bruder antworten – Was ist es? Was stimmt nicht? Entsetzen peitschte seine Nerven, vermischt mit Zorn, ähnlich seinem eigenen ... Er zog sich mit aller Kraft zurück in sein eigenes Selbst. Das Band zerriß wie eine zerspringende Saite. Irgendeiner im Dorf war jung und zornig und steckte voll Furcht. Kerris zwang seine Augen, klar zu sehen. Das Gras kitzelte unter seiner Handfläche. Er stieß sich ab und stand auf. Kel tat das gleiche gleichzeitig. Der verwehte Geruch von Himmelskraut kam über die Straße hergeweht.
    »Gehen wir!« sagte er.
     

5. Kapitel
     
    Sie traten in die Dorfhalle. Die Erwachsenen waren fortgegangen, nur drei alte Männer bliesen einander im wärmsten Winkel des Speiseraumes Rauch ins Gesicht. Kerris machte lange Schritte, um mit seinem Bruder mithalten zu können. Cal demonstrierte mit nacktem Oberkörper einem etwa gleichgroßen Jungen einen Hebelgriff am Handgelenk. Elli und Arillard führten eine Tanzdrehung vor. Ilene sprach leise auf das älteste der Mädchen ein. Jensie lachte, von drei Jungen umringt, die sie offensichtlich bewunderten. Das dreifarbige Haar stand wie Gischt um ihr Gesicht. Und keiner sah aus, als wäre er verletzt, wütend oder in Bedrängnis. Kerris streckte vorsichtig seinen neugefundenen Sinn ins Dunkel. Mitten durch das Gelächter hindurch, durch die Freude, die im Raum schwebte, das Entzücken, stieß Angst auf ihn zu wie der Strahl eines Leuchtturms.
    »Jemand steckt in Schwierigkeiten«, sagte er zu Kel.
    »Wo? Hier drin?«
    »Nein, woanders, aber ganz nah.« Er war erstaunt, daß er wußte, daß es ganz nahe sein müsse. Wie er das wußte, war bedeutungslos. Er wußte es eben.
    Kel sagte: »Du hast geglaubt, daß es hier ist, und dann war es das gar nicht.«
    »Ja.«
    »Versuche es zu orten!«
    »Wie?«
    »Greife weiter hinaus beim nächstenmal!« sagte Kel. »Du brauchst keine Angst zu haben. Du kannst jederzeit zurückkommen, wenn du willst. Und es wird nicht wehtun. Ich bin bei dir.«
    Der Duft von Himmelskraut kitzelte ihn in der Nase. Er schloß die Augen, zwang

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