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Die Tage des Gärtners - vom Glück, im Freien zu sein

Titel: Die Tage des Gärtners - vom Glück, im Freien zu sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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arbeitest du nicht?«, fragten sie. »Ich arbeite doch«, sagte Frederick, »ich sammle Sonnenstrahlen für die kalten, dunklen Wintertage.« Das Gleiche tut er mit den Farben, »denn der Winter ist grau«, und mit den Wörtern, »es gibt viele lange Wintertage, und dann wissen wir nicht mehr, worüber wir sprechen sollen«.
    Das ist kein so schlechtes Bild: alle Mäuse arbeiten, und eine Maus, die ist ein Künstler.
    Wenn es Herbst ist und der Gärtner aufsteht, sieht er das milde Licht wie einen goldenen Schleier durchs schimmernde Laub der Bäume wehen. Der Herbst bringt die Gedanken. Was war, was wird, was sein sollte, was gewesen wäre, was niemals wird. Der Sommer ist ja weitgehend eine gedankenfreie Zeit und bedeutet für die meisten Leute bekanntlich nur Hitze und hemmungslosen Sex am Strand. Aber wenn der Herbst kommt, wird es höchste Zeit, um innezuhalten und – um mit Luther zu sprechen – unsere Augen aufzuheben. Was ja, nebenbei, eine wirklich schöne Formulierung ist: Die Augen aufheben. Im 121. Psalm heißt es: »Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, von welchen mir Hilfe kommt.«
    Unsereinem mag es schon genügen, die Augen aufzuheben zu den Staudenbeeten, wo der Phlox noch blüht und die Rosen sowieso und wo die Herbstanemonen jetzt ihre stille Pracht entfalten.
    Wenn wir von Herbstanemonen sprechen, meinen wir fast immer jene der Art Anemone hupehensis. Ich empfehle die Sorten ‘September Charme’ und ‘Andrea Atkinson’, weiß die erste, rosa die zweite, wirklich besonders liebliche offene Blumen mit leicht gewellten Blättern und in der Mitte gefüllt mit kleinen, fransenbekränzten Puscheln.
    Herbstanemonen wachsen in der Sonne und im Schatten und sind eigentlich sehr anspruchslos. Nur auf eines sollten Sie achten: Die Herbstanemone ist erst im Frühjahr zu setzen. Sie ist in der Jugend gegen Staunässe empfindlich. Damit stellt sie eine Ausnahme dar. Denn die meisten Pflanzen wollen im Herbst in die Erde gebracht werden, damit sie noch vor dem Winter anwurzeln und im kommenden Frühjahr austreiben können.
    Wir haben also, strenggenommen, keine Zeit für liebliche Gedanken. Wir müssen in den Keller, die Zangen schleifen, die Rechen sortieren und die Spaten schärfen. Bald stehen wir, wenn die Tage grauer werden, wieder mit der Schippe in der Hand knöcheltief im Schlamm des neuen Beetes, das es anzulegen gilt.
    Vor allem aber gilt es, zumal wenn der Herbst dann etwas fortgeschritten ist, sich der Herausforderung des Harkens zu stellen. Keine Kleinigkeit, kann ich Ihnen sagen. Wie dringlich das Harken ist, hängt ein bisschen mit den Bäumen zusammen, mit denen Sie es zu tun haben: Eichenblätter brauchen ewig, bevor sie verrotten, Fichtennadeln sogar noch länger, weil sie von einer wachsartigen Schicht geschützt werden, außerdem machen sie den Boden sauer. Es ist natürlich auch eine ästhetische Frage. Und eine der Ordnung. Der Gärtner harkt seinen Rasen und er sammelt das Laub aus den Beeten mit der Hand. Eine Sache tut der Gärtner nicht: Er benutzt keinen Laubbläser. Und wenn, dann muss man ihm zeigen, was eine Harke ist.
    Das ist ja eine sehr alte Redewendung, »jemandem zeigen, was eine Harke ist«. Sie stammt aus einer Zeit lange vor Erfindung motorbetriebener Laubgebläse, aus dem 16. Jahrhundert nämlich. Im Jahr 1540 erschien in Zwickau die Geschichte DER UNGERATENE SOHN des Goldschmieds Hans Ackermann. Zwickau war damals keine abgeschlagene sächsische Provinzstadt wie heute, sondern, um mal die Worte Melanchthons zu nehmen, »eine Perle in diesen Landen«. Das bedeutete natürlich aus Melanchthons Sicht unter anderem, dass Zwickau ein Zentrum der Reformation war. Luther war hier. Und Thomas Münzer war auch hier. Die Geschichte vom ungeratenen Sohn war jedenfalls ein lutherisches Lehrstück, in dem es am Ende um die göttliche Gnade geht, die der Mensch nur von Jesus Christus erbitten kann, wobei ihm niemand helfen kann, was er also direkt mit Jesus abmachen muss. Da gibt es diesen Bauernsohn, der in die Fremde gezogen ist. Und dort Latein gelernt hat. Und dann kehrt er nach Hause zurück und tut so, als verstünde er seine eigene Sprache nicht mehr, nicht mal mehr die Worte für die einfachsten Gegenstände wollen ihm einfallen. Zum Beispiel weiß er nicht mehr, was eine Harke ist.
     
    An dieser Stelle müssen wir einen Einschub machen: Was ist eigentlich eine Harke?
     
     
     
    Ein Werkzeug aus der Garten- und Landarbeit. Zur Bodenbearbeitung. Oder Bodenpflege. Je

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