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Die Tage des Regenbogens (German Edition)

Die Tage des Regenbogens (German Edition)

Titel: Die Tage des Regenbogens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonio Skármeta
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gelangen.
    Und dann auch noch dieses Pech. Der Zusammenstoß mit einem Polizeiwagen! Wenn sie ihm Böses wollten, bräuchten sie nur seine Akte und das Video mit dem aufrührerischen Nein-Walzer zu nehmen und dem Geheimdienst zu übergeben. Dann würde das Antiterrorgesetz greifen.
    Das andere Schlüsselbein.
    Oder der Schenkelhalsknochen.
    Wenn er Glück hatte.
    Ein hochrangiger Offizier kam herein und klingelte mit seinen Autoschlüsseln.
    »Bettini!«, rief er.
    Beklommen stand der Werbefachmann auf. Diese Schlüssel, die gegen den selbst gebastelten Schlüsselanhänger klapperten, ein Weihnachtsgeschenk seiner Tochter Patricia, läuteten womöglich seine letzte Runde ein. Danach käme nur noch das Knock-out.
    »Das bin ich.« Seine Stimme klang heiser und unterwürfig.
    Der Offizier wandte sich zu einem jungen Polizisten um, etwa im Alter von Nico Santos, dem Schwarm seiner Tochter.
    »Durchsuchen Sie ihn.«
    Der Polizist nahm ihn sich gründlich vor und legte alles, was er in Bettinis Jacken- und Hosentaschen fand, auf ein schwarzes Plastiktablett. Mit den Händen nach oben starrte der Werbefachmann auf seine Habseligkeiten: seine Brieftasche, seinen geliebten Montblanc, ein unbenutztes Taschentuch, Hundertpesomünzen, einen Kamm, dem einige Zinken fehlten, Pfefferminzbonbons, weitere mit Zitronengeschmack und einige gefaltete Blätter.
    Was waren das für Blätter? Bettini erinnerte sich nicht.
    Der Polizist hielt dem Offizier das Tablett hin, und dieser griff zielstrebig nach den Blättern. Er faltete sie auf, überflog die Zeilen, und nachdem er die erste Seite gelesen hatte, drückte er sich die Blätter an die Brust und sah Bettini bedeutungsvoll an.
    »Da ist uns wohl ein dicker Fisch ins Netz gegangen.«
    »Wie bitte, Herr Offizier?«
    Der wählte genüsslich eine Telefonnummer, und während er darauf wartete, dass am anderen Ende der Leitung jemand abhob, hielt er den Hörer in die Runde, um alle Anwesenden einzubeziehen.
    Als sich jemand meldete, sagte er zufrieden und ohne den Gefangenen aus den Augen zu lassen: »Hauptmann Carrasco am Apparat. Ich muss dringend mit Minister Fernández sprechen. Mein Schlüssel ist R-S-C-H Carrasco Santiago.«
    Er lächelte breit, während er das zweite Blatt überflog. »Dr. Fernández, entschuldigen Sie, dass ich zu dieser Uhrzeit anrufe, aber ich glaube, ich habe da etwas, das Sie interessieren dürfte.«
    »Worum handelt es sich, Carrasco?«
    »Wir haben bei einem Verkehrsunfall einen reizenden Mitbürger festgenommen.« Er sah Bettini an, der sich mit dem Ärmel den Schweiß abwischte. »Er sitzt hier vor mir und schwitzt Blut und Wasser. Bei der Routinedurchsuchung haben wir ein paar handgeschriebene Seiten gefunden, die Sie sehr interessieren dürften, darum habe ich mir herausgenommen, Sie anzurufen.«
    »Gut gemacht. Geht es denn mich als Innenminister direkt an?«
    »Soll ich Ihnen vorlesen, was ich hier habe, Herr Minister?«
    »Bitte.«
    Der Offizier räusperte sich und las ohne besondere Betonungen die Zeilen ab:
Es kommt gut, zu sagen: nein,
wenn das ganze Volk dich danach fragt,
wie gut ist es, zu sagen: nein,
wenn es von ganzem Herzen kommt.
Wenn der Regenbogen am Horizont
und sogar Delfine dazu tanzen.
Das »Nein« ist ein Gefühl,
die Farbe
der Erhebung.
Darum, meine Liebe, lass uns singen, ohne zu
wanken,
nein, nein, ohohoo.
So oft im Leben suchte ich
ein Wort, in dem die Freiheit klingt,
so oft im Leben sah ich
die durch Feindschaft verwundeten Menschen.
Ich glaubte nicht, dass Hilfe käme
im Gewand eines Lieds,
aber meine Zweifel sind fort,
rein wie das Wasser mein Wort.
Darum, meine Liebe, lass uns singen, ohne zu
wanken,
nein, nein, ohohooo.
Nein, so kostbar
wie die Wogen auf meinem Meer,
die Wolken an meinem Himmel,
das singende Feuer,
nein, so schön
wie das Leuchten in den Augen,
der Schnee in meinen Träumen,
die Berge voller Wein,
kein Wort ist mehr nötig,
es ist genug gesagt.
Nur noch ein Wort, »nein«,
und es ist vollbracht.
    Hauptmann Carrasco bewegte im Rhythmus des Textes den Kiefer auf und ab. Bettini spürte, wie seine Blässe durch eine leichte Schamesröte verdrängt wurde. Während er seinen Liedtext hörte, der am letzten Tag der Kampagne gesendet werden sollte, war ihm, als vernähme er sein eigenes Todesurteil. Er litt bei jedem Vers, dabei waren seine Zeilen ihm noch vor ein paar Stunden leuchtend erschienen. Alle Chilenen, gleich welchen Alters, würden seine Zeilen ansprechen, ob sie das Meer liebten oder die Berge, ob

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