Die Tage des Regenbogens (German Edition)
sie unpolitisch waren oder unentschlossen. Warum hatte er auf seine Tochter gehört! »Nein sagen kommt gut.« Wollte er sich auf so billige Weise bei den Jugendlichen anbiedern?
Nein, Adrián Bettini, du Obertrottel, sagte er zu sich. Er schämte sich in Grund und Boden und fragte sich, welche Erniedrigungen denn noch auf ihn warten würden. Denn dass es in der Hölle immer noch eine Stufe tiefer ging, wusste er von seinem geliebten Dante.
Reizenderweise drehte Carrasco den Lautsprecher des Telefonapparats nun laut. So kämen ihm die Kommentare des Innenministers gleich direkt zu Ohren. Doch zuerst hörte man nur beherztes Lachen.
»Das ist wirklich sehr interessantes Material, Carrasco.«
»Meinen Sie das aus polizeilicher oder aus poetischer Sicht, Herr Minister?«
»Beides. Sagen Sie, mein Hauptmann, wie heißt denn der Neruda, der bei Ihnen hinter Gittern sitzt?«
Der Armeeoffizier hielt die Sprechmuschel zu und reckte dem Werbefachmann das Kinn zu.
»Wie heißen Sie noch mal, Sie Kindskopf?«
»Bettini, Adrián Bettini.«
»Er sagt, er heißt Adrián Bettini.«
Am anderen Ende der Leitung trat Stille ein, dann brach fröhliches Gelächter los.
»Sagen Sie bloß, Sie haben mir meinen Adrián Bettini festgenommen?«
»Wer ist er, Herr Minister?«
»Er leitet die Kampagne Nein zu Pinochet .«
»Ist er gefährlich?«
»Ach was! Mit diesen Reimen lockt er keine Maus hinterm Ofen hervor.«
»In dem Pamphlet ist immerhin von Aufstand die Rede. Was meinen Sie, soll ich ihm eine kleine Lektion erteilen?«
»Lassen Sie mal. Dazu besteht kein Grund. Dass Sie ihm nur ja kein Haar krümmen! Wir befinden uns in einer Demokratie. Bettini kann so viel Unsinn schreiben, wie er will.«
»Aber gegen meinen General!«
»Auch gegen unseren General. Die Demokratie, mein Hauptmann! Sie ist nichts weiter als eine Überbewertung der Statistik. Die Stimmen der Dummköpfe zählen genauso viel wie unsere.«
»Und jetzt?«
»Geben Sie ihm seine Papiere zurück, er soll sich fortscheren.«
»Und was sollen wir mit seinem Wagen machen? Er hat dem Dienstwagen eine Delle zugefügt.«
»Lassen Sie den Wagen in die Werkstatt in der Calle Carmen bringen. Die Jungs dort richten alles.«
»Und die Rechnung?«
»Die schicken Sie zu mir ins Ministerium, Carrasco. Richten Sie Bettini aus, das ist eine Geste des Hauses.«
»Ist das Ihr Ernst, Herr Minister?«
»Mein voller Ernst.«
»Ich lasse ihn also gehen! Einfach so?«
»Einfach so. Wenn es Ihnen besser gefällt, geben Sie ihm einen Fußtritt.«
Als er aufgelegt hatte, rieb Carrasco sich nachdenklich die Schläfe. Wieder wedelte er mit den Autoschlüsseln, dann warf er sie Bettini hin, und der fing sie auf.
»Du kannst gehen, Dichter.«
»Kann ich mein Auto mitnehmen?«
»Ja, nimm dein verdammtes Auto mit.«
»Danke, Hauptmann.«
Er ging zur Tür, und der junge Polizist hob grüßend die Finger an sein Käppi.
»He, Sie!«, schrie Carrasco auf einmal. »Was Sie da geschrieben haben, dass das Nein Ihr schöner Geliebter ist … Sie sind schwul, oder?«
Bettini zog den Kopf ein. Er antwortete darauf nichts. Kurz dachte er, es wäre gar nicht so schlecht gewesen, wenn Hauptmann Carrasco ihm einen Fußtritt verpasst hätte.
Es wäre ihm nur recht geschehen.
DREIUNDDREISSIG
H eute Abend zeigt das Fernsehen die erste Folge der »Nein«-Kampagne.
Heute Vormittag findet die Beerdigung von Señor Paredes statt.
Auf dem Weg zum Friedhof nähern sich immer wieder Leute dem Trauerzug und legen Blumen auf den Sarg. Eine Gesandtschaft der Scuola Italiana ist in einem gelben Bus angereist. Die Mädchen und Jungen tragen Uniform.
Als Letzte der Gruppe kommt Patricia Bettini mit einem Chrysanthemenkranz.
Die Zeitungen haben den Mord auf den Titelseiten gebracht.
Zum ersten Mal in diesem Monat scheint die Sonne.
Der Philosophielehrer Valdivieso hält eine Trauerrede auf Señor Paredes. Er hebt seine Verdienste als Lehrer und Leiter der Theatergruppe hervor.
»Er erarbeitete mit den Schülern Fuenteovejuna , Peribáñez , Das Leben ein Traum , Mutter Courage und Macbeth . Er führte Regie bei Der Tod eines Handlungsreisenden und Der Hausmeister von Harold Pinter.«
Dass er El Señor Galíndez von Pavlovsky aufführen wollte, erwähnt Valdivieso nicht.
Er sagt, Don Rafael Paredes ist unter tragischen Umständen ums Leben gekommen.
Dass Agenten der chilenischen Geheimpolizei ihn erdrosselt haben, sagt er nicht.
Heute hätten wir Probe gehabt, Shakespeare.
Meine
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