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Die Tage des Regenbogens (German Edition)

Die Tage des Regenbogens (German Edition)

Titel: Die Tage des Regenbogens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonio Skármeta
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auch etwas. Manchmal muss man Wörter sagen, nur um die Stille zu hören. Es gibt solche und solche Arten zu schweigen.
    »Manchmal muss man Wörter sagen, nur um die Stille zu hören«, sage ich mit lauter Stimme. »Es gibt solche und solche Arten zu schweigen. Auch das vielsagende Schweigen. Manchmal kann man etwas nur sagen, indem man das verschweigt, von dem wir alle wissen, dass es gesagt werden müsste. Lieber Señor Paredes: Heute hätten wir Shakespeare geprobt. Hamlet , Julius Cäsar , Macbeth . Ich habe von ›Uncle Bill‹ alles das unterstrichen, was ich bemerkenswert fand. Sie hätten mir sicher eine sehr gute Note gegeben. Eine Stelle lese ich Ihnen vor: ›I have neither wit, nor word, nor worth, action, nor utterance, nor the power of speech, to stir men’s blood: I only speak right on; I tell you that which you yourselves do know. Show you sweet Caesar’s wounds, poor poor dumb mouths, an bid them speak for me: but wer I Brutus, and Brutus Antony, there were an Antony would ruffle up your spirits an put a tongue in very wound of Caesar that should move the stones of Rome to rise and mutiny.‹ Verzeihen Sie, dass ich das nicht übersetze, aber ich will nicht festgenommen werden.«
    Ich kann selbst nicht glauben, was ich gerade gesagt habe.
    Ich habe mir nicht überlegt, wie ich aufhöre.
    Also beeile ich mich, Marcus Antonius’ Rede zu Ende zu lesen: »… dann gäb es einen, / Der eure Geister schürt’ und jeder Wunde / Des Cäsar eine Zunge lieh’, die selbst / Die Steine Roms zum Aufstand würd empören.«
    Leutnant Bruna ist nicht anwesend, aber hinter wie vielen Trauermienen stecken Geheimpolizisten? Das Publikum anschauen. Als Ganzes und jeden Einzelnen. Sie wissen nicht, dass ich am ganzen Leib zittere. Ich dummer Junge. Ich Riese.
    Ich schlage das Buch zu und trete vom Mikrofon weg. Schweigen. Solches und solches. Ein letzter Blick. Zu Patricia Bettini. Zum italienischen Konsul. Über die Menge hinweg.
    Ein alter Mann hebt mit beiden Händen eine rote Fahne über den Kopf. Che hat auch eine dabei und schwingt sie. Die Kunstlehrerin ebenfalls. Fünf oder sechs Erwachsene, die ich nicht kenne, heben Fahnen hoch und lassen sie im Wind flattern. Der Rektor bemerkt es nicht. Der Rektor tut, als würde er es nicht bemerken. Leutnant Bruna hat sein Fernbleiben mit »Gründen des Anstands« entschuldigt. Das Schweigen jetzt ist ein anderes. Es erlaubt, das Flattern der roten Fahnen im Wind zu hören.
    Jetzt kommt eine Fahne hinzu, die anders ist als die anderen: Sie gehört Patricia Bettini. Es ist eine weiße Fahne mit einem Regenbogen darauf.

VIERUNDDREISSIG
    » J etzt ist es zu spät. Die Briefe sind verschickt, lieber Bettini. Wir zeigen, was wir haben. Eine andere Möglichkeit haben wir nicht«, warf Olwyn ihm mit einem gequälten Lächeln hin.
    »Laut Gesetz strahlt das Fernsehen heute Abend landesweit die Wahlkampfkampagnen beider Seiten aus. Wir wünschen Ihnen ein angenehmes Abendmahl, und dass Sie danach gestärkt vor die Fernsehapparate zurückkehren.«
    Erster Gang: Tomaten und Mozzarella mit Olivenöl. Molto italiano, Adrián. Als Begleitung ein Cabernet Sauvignon. Zweiter Gang: Spaghetti alla puttanesca. Mit schwarzen Oliven, Knoblauch, Tomatensoße, abgeschmeckt mit Rotwein, Kapern und Zwiebeln, dazu Tallarines al dente. Nicht zu weich, damit sie nicht kleben, und auch nicht zu hart, damit sie die Soße aufnehmen.
    Außerdem selbst gebackenes Brot: weiche, knusprige Brötchen. Vor jedem Teller ein kleines Schälchen mit Butter.
    Die Tafel ist für vier gedeckt. Es gibt Champagner »extra dry« Valdivieso. Obwohl er gut gekühlt ist, macht niemand die Flasche auf. Das Grüppchen ist nicht gerade in Feierstimmung. Mit Trübsinn kommen wir nicht weiter, denkt Magdalena und lächelt. Auch ihr Mann Adrián lächelt, und Patricia streicht sich gedankenverloren über die Haare.
    Keiner möchte den anderen fragen, woran er gerade denkt.
    In wenigen Minuten kommen die Karten auf den Tisch. Es ist so weit, Adrián Bettini. Was du dir ausgedacht hast, bekommt jetzt ganz Chile zu sehen. Nimm’s nicht so schwer. Die »Nein«-Wähler sind viele. Fast die Hälfte der Bevölkerung. Sie haben sich schon entschieden. Egal, was du zustandegebracht hast, sie werden von ihrer Haltung nicht abrücken. Wichtig bist du nur für die Leute, die Angst haben, dass sie an den Urnen gefilmt werden, dass man sie für ihre Wahlentscheidung zusammenschlägt, die Zögerlichen, die Chaos und Unordnung

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