Die Tallinn-Verschwörung - Thriller
höchstens ein paar Unterlinge hin, die dort agitieren sollten. Allerdings waren sie auch dabei sehr vorsichtig, um keine unerwünschte Aufmerksamkeit zu erregen. Trotzdem hoffte Torsten eine Spur zu finden, die ihn zu Hoikens führen konnte.
In dem einen Jahr, in dem er in Afghanistan gewesen war, hatte sich die rechte Szene unerwartet stark verändert. Die Treffpunkte, die er kannte, waren entweder aufgegeben worden oder hatten sich in gewöhnliche Gaststätten verwandelt, in denen frühere Gesinnungsgenossen zwar noch einkehrten,
aber nicht mehr den Ton angaben. Für Torsten war es eine Enttäuschung, doch er gab nicht auf.
Als er spät in der Nacht durch einen abgelegenen Teil der Altstadt streifte, vernahm er ein Lied einer in rechtsradikalen Kreisen beliebten Band, das provozierend laut auf die Straße schallte, und folgte den Klängen in einen Hinterhof. Da die Tür, aus der die Musik drang, offen stand, trat er ohne nachzudenken ein und fand sich in einer Art Kellerlokal wieder, in dem gerade eine Party gefeiert wurde. Der Raum wirkte schmuddelig und alles andere als einladend. Der Boden unter seinen Füßen fühlte sich uneben an, die Decke hätte längst einen neuen Anstrich vertragen, und die Wände waren mit Wahlplakaten rechter Parteien tapeziert. Das einzig neu Wirkende war eine große, quadratische Fahne an der hinteren Wand, die ein schwarzes Tatzenkreuz auf weißem Grund trug, in dessen Zentrum sich ein stilisierter schwarzer Adler in einem roten Kreis befand. Es handelte sich um eine Abwandlung alter preußischer Regimentsfahnen, wie die Neonazis sie als Ersatz für die Hakenkreuzfahne und die inzwischen ebenfalls verbotene Reichskriegsflagge verwendeten.
Die Besucher, die auf abgeschabten Stühlen hockten, Bier und Schnaps tranken und rechtsradikalen Liedern lauschten, schienen aus dem Bodensatz der Gesellschaft zu stammen. Sie trugen schmierige Jeans, braune T-Shirts mit Flecken und die verschiedensten Glatzenformen. Einige hatten sich die Nackenhaare lang wachsen lassen, andere trugen eine Art Skalplocke über der Stirn. Torsten schätzte sie als Mitläufer der rechten Szene ein, die von den echten Neonazis zu Aufmärschen und Demonstrationen geschickt wurden.
Torsten kannte Hoikens gut genug, um zu wissen, dass der Mann sich nicht mit solchem Gesindel abgeben, geschweige denn in ihr Klublokal kommen würde. Er überlegte schon, wieder zu gehen, als die Gruppe auf ihn aufmerksam wurde.
Eine der kahlköpfigen Gestalten in Jeans und braunem T-Shirt, die er nur durch feinere Gesichtszüge und einen entsprechenden Vorbau auf der Brust als vielleicht sechzehnjähriges Mädchen identifizieren konnte, stand auf und bleckte die Zähne wie ein gereizter Hund. »Das ist eine geschlossene Veranstaltung! Also verschwinde!«
»Vielleicht sollten wir ihm dabei helfen!« Ein bulliger Glatzkopf mit muskulösen Oberarmen, auf denen Eiserne Kreuze eintätowiert waren, drehte sich zu Renk um und rieb voll Vorfreude die Fäuste aneinander.
Die Vernunft hätte es geboten, sich schleunigst zurückzuziehen. Aber Andreas Tod und die vergebliche Suche nach einer Spur ihres Mörders hatten Torsten reizbar gemacht, und da kam ihm ein Opfer, an dem er sich abreagieren konnte, gerade recht. Er reckte sich auf seine gesamte Größe von fast ein Meter neunzig und grinste.
»Ihr hättet ein Schild anbringen müssen, Kinder. Jetzt bin ich herinnen.«
»Kinder?« Der Bullige zischte einen Fluch. Mit einer bedächtigen Bewegung, die weniger gewollt als durch seinen Alkoholkonsum bedingt war, stand er auf und kam auf Torsten zu. Obwohl auch er sich zu seiner vollen Größe aufrichtete, musste er zu dem Eindringling aufschauen.
»Du brauchst wohl wieder einmal eine Ganzkörperpolitur, was, Kleiner?« Es war wie ein Signal, denn sofort sprangen seine Kumpane auf und versammelten sich hinter ihm. Sogar das Mädchen kam dazu und schwang das Stück eiserner Kette, das sie anstelle eines Gürtels trug.
»Macht ihn zu Hackfleisch!«, kreischte sie mit unangenehm schriller Stimme.
»Mit Vergnügen!« Der Anführer holte aus, doch bevor er zuschlagen konnte, saß er auf dem Hosenboden und betastete sein Kinn.
Mit weiteren gut gezielten Hieben gelang es Torsten, einige der anderen Kerle auszuschalten. Dann wich er ein paar Schritte zurück, und bevor ihm jemand folgen konnte, hielt er die Sphinx AT 2000 S in der Hand und ließ den Schlitten zurückfahren.
Das Geräusch ernüchterte die Kerle. Nur das Mädchen kam noch auf ihn
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