Esel
1. Friedhelm glotzt, was sonst …
Nein! Nein! Nein! … Ich bin doch nicht bescheuert. Ich werde nicht mit einem Esel vierzehn Tage durch die Uckermark wandern. Schon gar nicht mit einem Esel, der Friedhelm heißt und mich mit Flatulenzen begrüßt, die Bäume töten könnten.
Natürlich furzt er jetzt. Als müsste er auch noch bestätigen, was ich gerade gesagt habe.
Er furzt, und ich rümpfe die Nase. Was hat dieses Tier bloß gegessen. Eben noch roch es nach frischem Moos und Laub, jetzt riecht es nach Hölle und Verdammnis.
»Kannst du das vielleicht woanders machen?«
Nein, das kann er nicht. Woanders würde es ja keiner mitbekommen. Der feine Esel braucht ein Publikum. Der feine Esel hat einen Ruf zu verteidigen. Ich aber auch. Ich habe auch einen Ruf. Und das ist nicht gerade der Ruf eines Naturliebhabers, Eselfreundes oder Uckermark-Fans.
Er furzt wie zum Trotz.
»Kannst du das bitte sein lassen, ja?«
Nein, kann er nicht, er legt nach. Natürlich. Wo andere einen Magen haben, hat ein Esel ein Treibhaus.
»Jetzt hör mal zu, mein Freund: Ich bin Lehrer. Englisch und Geschichte. Sekundarstufe II . Ich habe Ferien, und ich habe mir jeden verdammten Tag verdient, kapierst du das? Nein, das kapierst du natürlich nicht, weil du jeden Tag Ferien hast. Weil du gar nicht weißt, was es heißt, sich jeden Tag da draußen den Arsch aufzureißen, für einen Haufen dummdreister Ignoranten. Arsch nehme ich zurück, die Ignoranten bleiben.«
Der Esel glotzt. Das ist normal, wie ich vermute. Ich kenn’ mich nicht aus mit Eseln. Alles, was ich über Esel weiß, stammt aus der Weihnachtsgeschichte, dem Einzug des berühmtesten Esels in Jerusalem und einem Besuch im Zoo. Ich befinde mich da in allerbester Gesellschaft. Die meisten Menschen wissen nicht viel über Esel. Sie kennen nur das Klischee, nicht das Tier.
»Ja, was glotzt du denn, meinst du, ich mache das hier freiwillig? Uckermark im Hochsommer? Mit einem Esel? Meinst du das? Für wie bescheuert hältst du mich?«
Ein Furz kann auch eine Antwort sein.
»Ist das alles, was dir dazu einfällt? Das ist erbärmlich!«
Eigentlich ist es doch gut, dass ihm nichts anderes einfällt, als zu furzen. Das macht mich zum überlegenen Teil dieser unfreiwilligen Paarung. Mir fällt immer was ein. Dem Esel nicht. Deshalb haben wir die Evolution auch nicht als Lastentier abgeschlossen.
»Ich sage dir was, Friedhelm: Meine Frau hatte die Idee für das hier.«
Das wird ihm egal sein.
»Aber es ist nicht so, wie du denkst. Ich liebe meine Frau. Liebe! Kennst du das? Liebe? Nein, kennst du nicht. Woher auch? Mensch, glotz mich nicht so an!! O Gott, was erzähl’ ich hier eigentlich?«
Er antwortet nicht. Gut, wenn er es täte, wäre ich endgültig verrückt. Oder bestimmt kurz davor. Ich bin nicht Doktor Doolittle. Ich bin froh, dass ich mit Menschen reden kann, das ist schon schwer genug. Den Dialog mit Tieren brauche ich nicht.
»Weißt du, wo ich jetzt eigentlich sein müsste: Bei meiner Frau! Auf dem Weg nach Italien. Schon mal von gehört? Italien, mhm? Toskana, Oliven, Wein? Mmh?«
Björn Keppler, hast du sie noch alle? Du sprichst mit einem Esel.
»Was ist, du glotzt ja immer noch. Hier gibt es nichts zu glotzen, ich denke nach, okay?«
Der Esel glotzt und schweigt. Soll er. Ich denke wirklich nach. Ich kann das. Er nicht. Oder? Ich kann auch Selbstgespräche führen, und ob er das kann, ist mir so egal wie die Lehrerausbildung in Usbekistan.
Eigentlich sind Selbstgespräche für einen Mann, der in einem Jahr 40 wird, nicht ungewöhnlich, sondern nur der Ausdruck seiner sozialen Reise. Mit jedem Jahr, das ein Mann älter wird, sinkt der Kreis der aktiven Zuhörer überproportional. Irgendwann hört einem nur noch die eigene Frau zu. Oder der Steuerberater. Für die meisten Männer beginnt früher oder später das große Schweigen.
»Weißt du, was ich denke?«
Das weiß er nicht, wäre ja auch noch schöner.
»Ich denke …«
Ich werde doch einem Esel nicht erklären müssen, was ich denke.
»So weit kommt’s noch!«
Ich muss jetzt ganz ruhig sein, das ist alles nicht wahr.
Doch, doch, doch.
»Kollege, du und ich, das läuft nicht, haben wir uns verstanden?«
Offensichtlich nicht, er zeigt keinerlei Reaktion. Das kenne ich von meinen Schülern.
»Ich mag keine Esel, das hat nichts mit dir zu tun, ich mag überhaupt keine Tiere. Strenggenommen schon. Aber ich mag keine Tiere, mit denen ich irgendwas machen muss. Streicheln, füttern,
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