Die Teeprinzessin
Holz dazu. In einen Pfannkuchen kamen sechs Eier. Teig rührte man nur rechtsherum, sonst ging er nicht auf. Betty erschien es immer, als gäbe es Tausende und Abertausende von Regeln. Sie bemühte sich redlich, alle einzuhalten. Aber die schwierigste hieß: Wertvollen Tee verschwendet man nicht an junge Mädchen, die ihn ohnehin nicht vertragen. Was war geschehen im vergangenen Jahr? Warum sollte sie plötzlich etwas nicht mehr dürfen, was ihr jahrelang gestattet war?
Auf der schmalen Gasse neben der Kirche war erwartungsgemäß noch alles still. Ein altes Weiblein mit einem Eierkorb verließ soeben den Garten des Ratsherren Hoffkötter, hinter ihr sah man ein Huhn im Gras sitzen und ihr erschrocken hinterherblicken. Eine Ecke weiter, auf dem großen Markt, traf bereits der Karren des Rossschlachters Meierlein ein, der von einem Esel gezogen wurde, weil bei Meierlein angeblich alle Pferde scheuten. Oben am Delft wurden nun die ersten Fenster aufgestoßen und Federbetten zum Lüften herausgelegt. Wie weiße Zungen hingen sie dort.
Betty drückte sich an die Hecke des Nachbarhauses, bevor Gustl Plumboom ihr zuwinken konnte. Gustl hatte gleichzeitig mit ihr die Schule beendet und sie half nun vormittags im Gasthaus des Vaters am Markt aus, eine Tätigkeit, die ihrem natürlichen Hang zum Klatsch nur entgegenkam. Betty wollte keinesfalls schon wieder von ihr gesehen werden, wie sie in aller Frühe zu Anton hinüberhuschte. Schon einmal hatte Gustl
sie frühmorgens erblickt und mit dem Fragen gar nicht mehr aufhören wollen. Triffst du dich wirklich schon mit Anton? Wie ist er denn so? Umarmt ihr euch? Hat er dich schon gefragt?
In der Ferne hörte man bereits die ersten Marktweiber, die sich etwas zuriefen. Betty blickte zum benachbarten Teehandelshaus hinauf. In den gewölbten Butzenscheiben des Kontorhauses spiegelte sich die Morgensonne. Bewegte sich da oben bei Anton der Vorhang? Wenn sie nur etwas sehen könnte!
Anton Asmussen war sechzehn Jahre alt und seit ihrer Kleinkinderzeit Bettys liebster Freund. Das hing natürlich auch damit zusammen, dass sie nahezu Wand an Wand wohnten. Aus der guten Stube der Henningsons, die allerdings selten benutzt wurde, konnte man direkt in das riesige Kontor von Teehändler Asmussen hineinblicken. Jedenfalls wenn man etwas nach oben blickte, denn das Handelshaus war um einiges höher als die alte Silberschmiede. Und es war viel stabiler gebaut, denn schließlich lagerte hier der Tee aus China: höchst empfindliche Ware, die weder feucht noch zu kalt werden durfte. Zu viel salziger Meerwind war ebenfalls ganz schlecht für die zarten Teeblätter. Wie überhaupt Gerüche aller Art. Alles musste pieksauber sein. Wer das Teehandelshaus betrat, sollte nicht parfümiert sein. Ein Grund dafür, dass die alte Frau von Mux, die als Urgroßtante von Anton seine einzige Verwandte mütterlicherseits war, die Lagerräume angeblich seit dreißig Jahren nicht betreten hatte. Betty lächelte in sich hinein, als sie daran dachte, wie der Teehändler sich immer mit der alten Dame herumzankte.
Teehändler Asmussen fürchtete sogar, dass eines der Fuhrpferde in die schmale Gasse vor seinem Haus äpfeln und der aufsteigende Geruch seinen kostbaren Lagertee verderben könnte. Darum hielt er sich einen alten Knecht, der tagaus, tagein
mit seiner Schippe bereitstand, um eventuelle Hinterlassenschaften sofort aufzusammeln, in eine Karre zu verfrachten und im Laufschritt zur französischen Gärtnerei Demille zu bringen. Für die Rosen. Rosen wuchsen am Teehandelshaus natürlich auch nicht, und sogar bei Henningsons war in nachbarschaftlicher Verbundenheit die englische Kletterrose gekappt worden, weil sie so stark roch. Alle Leute in der Stadt lächelten über die Marotten des Teehändlers. Aber die wohlhabenderen von ihnen kauften dann doch bei ihm.
Die undurchdringlichen dicken Mauern des Teehandelshauses Asmussen hielten den Meerwind allerdings dermaßen gründlich vom Geschäftshaus der Henningsons fern, dass Frau Pannfisch stets darüber jammerte, in ihrem Garten sei die Luft wie tot und deswegen würde die Wäsche zu starr trocknen. Das große Nachbarhaus wirke nämlich wie eine Windschutzmauer. Deshalb wehe bei den Henningsons ums Haus herum kein noch so kleines Lüftchen.Aber darüber lachte der alte Henningson nur. Berthold Henningson, der Silberschmied, und Albert Asmussen, der Teehändler, beide früh verwitwet und beide Väter mutterloser Einzelkinder, beide dem Teetrinken sehr zugetan
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