Die Teerose
schnell!« rief Giles. Gefolgt von Neville stieg er ein, dann hoben sie Fiona hinein und betteten sie auf den Sitz. Neville hielt sie in seinem Arm fest. Sie schloß die Augen und bemühte sich mit aller Kraft, nicht ohnmächtig zu werden. Ihre Brust brannte wie Feuer, und sie spürte, wie das Blut ihre Kleider durchtränkte. Dann stieg David ein, sie spürte, wie die Kutsche anfuhr und Geschwindigkeit aufnahm.
»Schneller, Mann, schneller!« rief Giles aus dem Fenster.
»Mrs. Soames … Fiona … können Sie mich hören?« fragte David und tätschelte ihr Gesicht.
» … kann … hören«, murmelte sie stockend.
»Halten Sie durch! Wir sind fast da!«
»Sie ist ohnmächtig geworden!« sagte Giles. »Mein Gott, Neville, sie ist leichenblaß!«
»Fiona!« rief Neville. »Können Sie mich hören? Sagen Sie etwas!«
»Hat sie Angehörige in London?« fragte David. »Gibt es jemandem, dem man Bescheid geben sollte?«
»… sagen Sie’s meinem Pa«, murmelte Fiona. »Sagen Sie meinem Pa, daß wir gewonnen haben …«
78
A ch du lieber Gott! Wie siehst du denn aus!« Entsetzt vom Anblick der zerbrechlichen, leichenblassen Gestalt in dem Bett stand Roddy mit seinem Helm in der Hand in der Tür des Krankenzimmers.
Fiona öffnete die Augen und schenkte ihm ein mattes Lächeln. »Mir geht’s gut, Onkel Roddy.«
»Ich bin gleich hergekommen, nachdem ich’s erfahren hab. Einer meiner Leute kam mit der Nachricht ins Revier gelaufen. Ich konnt’s nicht glauben, Mädchen, ich hab mich zu Tode geängstigt. Ich dachte schon, du wärst tot. Was zum Teufel hab ich mir bloß dabei gedacht? Ich hätte dich nicht allein hingehen lassen sollen!«
»Ich war nicht allein, Onkel Roddy, ich …«
»Ich hätte dich begleiten sollen.«
»Aber mir geht’s doch gut …«
»Ja sicher, du bist ein Urbild von Gesundheit. Kann ich dir was bringen? Wasser? Hast du Durst?«
»Ich bin wie ausgedörrt.«
Er schenkte ihr ein Glas Wasser aus dem Krug auf ihrem Nachttisch ein. »Hier. Was sagen die Ärzte?«
»Daß ich ein bißchen Blut verloren hab, aber das wird schon wieder.«
»Wie fühlst du dich?« Er berührte mit dem Handrücken ihre Wange. Ihre Blässe, die dunklen Ringe unter den Augen und das Blut, das durch die Binden sickerte, gefielen ihm gar nicht.
»Nur ab und zu ein bißchen schwindelig.«
»Burton schafft’s nicht bis zum Galgen, bei Gott, das schwör ich. Wenn er gefunden ist, reiß ich ihm persönlich den Kopf ab.«
»Er läuft immer noch frei herum?«
»Ich fürchte schon. Bevor ich herkam, war ich in der Mincing Lane und hab mit den Männern gesprochen, die mit dem Fall betraut sind. Das gesamte Gebäude von Burton Tea wurde durchsucht, aber es gab keine Spur von ihm. In seinem Haus war er auch nicht. Die Jungs von der Polizei in der City glauben, er könnte versuchen, auf den Kontinent zu entwischen. Wenn er’s nicht schon ist. An alle Fährschiffe wurden Warnungen ausgegeben. Und man hat eine Belohnung ausgesetzt.«
Roddy war frustriert, daß er selbst den Fall nicht bearbeitete, aber die Mincing Lane gehörte zur City von London und unterstand damit den dortigen Polizeikräften. Er war Mitglied der Metropolitan Police, die dem Innenministerium unterstand, nicht der City, und für den Rest der Stadt zuständig war.
Fiona beugte sich zum Nachttisch und verzog das Gesicht, als sie das Glas abstellte.
»Tut’s weh?« fragte Roddy.
»Ein bißchen. Der Arzt sagt, die Wunde ist über zwanzig Zentimeter lang.« Sie lachte bitter. »Ich kann keine tiefen Ausschnitte mehr tragen.«
»Fiona, weißt du überhaupt, was für ein Glück du hattest? Wenn du näher bei ihm gestanden hättest … wenn man dich nicht weggezogen hätte … wenn die Klinge nur ein bißchen länger gewesen wäre …« Roddy schüttelte den Kopf. »Dann hätte ich dich in der Gerichtsmedizin besucht, nicht im Hospital.«
»Aber das tust du ja nicht«, sagte Fiona. »Wir haben’s geschafft, Onkel Roddy.«
»Du hast es geschafft! Gott weiß, wie, aber du hast es geschafft.«
»Mit deiner Hilfe. Du hast gestern abend ein paar Besuche gemacht, nicht wahr?«
»Ein oder zwei.«
»Wo kann ich Peter Miller finden?«
»Unten im Lion, in der Kneipe von deinem Pa.«
»Du hast auch mit Joe Bristow gesprochen, nicht?«
»Ja.«
Fiona nickte stumm, und Roddy sah einen tiefen Schmerz in ihren Augen, der nichts mit ihrer Verletzung zu tun hatte. Es tat immer noch weh. Nach all den Jahren schmerzte es sie immer noch, über Joe zu
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