Die Teerose
versuchen, Burton allein zu treffen?« fragte Neville, als Fiona bei ihm ankam.
»Nein. Lassen Sie uns zu der Versammlung gehen.« Sie fühlte sich plötzlich sehr erleichtert, daß sie dem Mann nicht in seinem Büro gegenübertreten mußte, in dem Raum, wo sie ihn über den Tod ihres Vaters hatte lachen hören. Im Konferenzsaal wären Leute, eine Menge von Leuten, und die würden sie schützen.
Langsam zog die Menge in den Saal ein. Es war ein pompöser Raum mit hoher Decke und einem Podium an der Stirnseite. Große rechteckige Tische mit Stühlen waren aufgereiht, und entlang der Wände befanden sich weitere Sitze. Fiona und ihre Begleiter ließen sich im hinteren Teil nieder. Der Raum füllte sich. Viele standen. Gerüchte schwirrten durch den Raum. Zehn Minuten vergingen, dann zwanzig.
Fiona spürte, wie William Burton den Raum betrat, noch bevor sie ihn sah. Genauso wie eine Gazelle am Wasserplatz die Nähe des Löwen wittert, war sie sich seiner Gegenwart bewußt. Er war durch eine Seitentür gekommen und stand, die Hände auf dem Rücken verschränkt, hinter dem Rednerpult. Instinktiv erstarrte sie bei seinem Anblick, und nackte Angst kroch in ihr hoch. Das letzte Mal, als sie mit diesem Mann im gleichen Raum war, hatte sie fast das Leben verloren. Mit Mühe unterdrückte sie ihre Angst. Jetzt war alles anders, sagte sie sich. Sie war kein junges Mädchen mehr, das von Mördern gejagt wurde, sondern eine erwachsene Frau, die Macht besaß.
Er sah noch beinahe genauso aus wie früher. Gut gekleidet, elegant, mächtig. Sein Gesicht war älter, aber glatt und vollkommen ausdruckslos. Sogar aus der Ferne wirkten seine Augen so schwarz und kalt wie die einer Schlange.
»Guten Morgen«, sagte er steif.
Die Gespräche erstarben, alle Augen waren auf ihn gerichtet. Er begann zu sprechen. Seine Stimme klang ruhig und sicher. Fiona war überrascht, wie gut sie sich an sie erinnerte, aber schließlich hatte sie sie zehn Jahre lang in ihren Alpträumen gehört.
»Wie Sie wissen, werde ich der Mittäterschaft an der Ermordung eines meiner Angestellten beschuldigt, eines Gewerkschaftsführers namens Patrick Finnegan. Ich versichere Ihnen, daß diese Beschuldigung, die Thomas Sheehan aus Limehouse, ein berüchtigter Erpresser, gegen mich vorbringt, vollkommen haltlos ist. Ich habe keinem meiner Arbeiter je Schaden zugefügt, sondern mich bemüht, ihr Leben durch gerechte Löhne und anständige Arbeitsbedingungen zu verbessern.«
Bei diesen Worten fiel alle Angst von Fiona ab, und die alte Wut, die jahrelang in ihr geschlummert hatte, loderte wieder auf.
»Vor zwei Jahren hatte ich das Unglück, Mr. Sheehan zum erstenmal zu begegnen«, fuhr Burton fort, »nachdem er meinem Vorarbeiter von Oliver’s Wharf mitgeteilt hatte, daß er das Lagerhaus niederbrennen würde, wenn ich ihm pro Monat nicht hundert Pfund Schutzgeld bezahlen würde. Nachdem ich von seiner Forderung Kenntnis erhalten hatte, ließ ich den Mann kommen und machte ihm deutlich, daß ich mich seiner Erpressung nie beugen würde. Er drohte mir, meinen Besitz zu zerstören und mir persönlich zu schaden. Ich verstärkte die Wachen bei Oliver’s, dachte aber dummerweise nicht daran, das gleiche mit meiner früheren Teefabrik zu tun. Mr. Sheehan hat sie niedergebrannt. Woher ich das weiß? Weil er selbst es mir gesagt hat. Und jetzt, da er Schwierigkeiten mit der Polizei hat, greift er zu diesen absurden Anschuldigungen. Ganz offensichtlich, weil er sich damit Milde erhofft für seine Rolle im Mordfall Quinn.«
Fiona war inzwischen außer sich vor Zorn. Mit geschlossenen Augen saß sie starr auf ihrem Stuhl, ihre Hände lagen fest gefaltet vor ihr auf dem Tisch, und sie zwang sich, ruhig zu bleiben und nicht die Beherrschung zu verlieren.
Burton fuhr fort, gab zu, daß der Wert seiner Aktien heute morgen gefallen sei, aber er versicherte seinen Aktionären, daß er das Wohlwollen seiner Kunden zurückgewinnen werde, sobald sein Ruf wiederhergestellt sei. Deshalb bat er sie, ihre Papiere zu halten, bis er die Firma durch dieses Sturmtief, das nur von kurzer Dauer sein werde, geführt habe.
Fiona blickte sich um und erkannte, wie bereitwillig seine Erklärungen und Versprechen von den Leuten angenommen wurden, die nur hören wollten, daß ihr Geld sicher war. Sie hätten seinem Leugnen geglaubt und die Anklage gegen ihn fallenlassen, wenn sie damit ihre Investitionen hätten retten können. Nun, das würde sie nicht zulassen. Sie sollten die Wahrheit
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