Die Teerose
gehen.«
Sie legte den Kopf an seine Schulter und ließ sich wegführen. Vor zwei Tagen war er aus seiner Schule in Groton zur Beerdigung heimgekommen, worüber sie froh war. Seine Gegenwart tröstete sie, wie niemand anders es vermocht hätte. Sie hatten gemeinsam die schlimmsten Zeiten durchgestanden, hatten den Ozean überquert, ein neues Leben begonnen und standen sich sehr nahe. Fiona wußte, wie sehr sie ihn in den nächsten Tagen brauchen würde. Wenn die Aufregung der Beerdigung vorbei war, fing der schwierige Teil erst an. Wenn man allein mit seinem Schmerz zurückblieb. Seamie fand immer die richtigen Worte, wenn sie am Boden zerstört war, wußte immer, wann sie die Wärme seiner Hand in der ihren spüren mußte.
Teddy Sissons und seine Frau traten zu ihr und baten sie, sich an sie zu wenden, wenn sie irgend etwas brauchte. Nach ihnen kamen andere Leute, die ihr dasselbe sagten. Gute, liebe Leute. Menschen, die ihr wohlgesonnen waren, die sie liebten und die sie liebte. Aber im Moment konnte sie ihren Anblick nicht ertragen. Sie ließ die Beileidsbezeugungen über sich ergehen, nickte, dankte, versuchte zu lächeln und war erleichtert, als sie schließlich zu ihren Kutschen gingen.
»Du bleibst heute nacht bei uns, Fiona. Du und Seamie«, sagte Michael hinter ihr. Fiona drehte sich um. Ihre Familie war versammelt, zur Abfahrt bereit.
Sie schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht, ich …«
»Keine Widerrede, Fiona«, sagte Mary. »Versuch es erst gar nicht. Wir haben genügend Platz, und ich laß dich nicht allein in dem großem Haus herumirren.«
Sie lächelte matt und bedankte sich bei ihrer Tante.
»Ich werde eine weiße Rose pflanzen, eine Kletterrose, direkt am Grabstein. Das hätte Nick gefallen«, sagte Alec mit zitterndem Kinn und wandte sich dann ab, um sich die Augen abzuwischen. »Ich sag den Totengräbern gleich, daß sie die Erde nicht ganz aufschütten sollen«, fügte er hinzu und ging aufs Grab zu.
»Seamie, Ian, geht ihm nach«, bat Mary. »Er sieht nicht mehr so gut wie früher. Ich hab Angst, daß er reinfällt.«
Gefolgt von Seamie, ging Ian seinem Großvater nach. Mary führte ihre Familie zur Kutsche. Michael erklärte ihr, daß er gleich nachkomme.
»Wie geht’s dir, Mädchen?« fragte er Fiona.
»Mir geht’s gut«, antwortete sie. »Wirklich.«
Sie sah, daß ihr Onkel ihr nicht glaubte. »Ich vermisse ihn, Onkel Michael. Ich vermisse ihn so sehr.«
»Ich weiß. Das tun wir alle.« Er nahm ihre Hand und hielt sie in seiner Ergriffenheit verlegen fest. »Es wird alles wieder gut, Fiona, du wirst sehen. Es ist doch nur der Leib fort. Nur der Leib. Es gibt einen Teil, der nicht begraben wird, einen Teil, der immer in deinem Innern bleibt.«
Fiona küßte ihren Onkel auf die Wange. Sie fand seine Worte tröstlich und wünschte nur, sie könnte sie glauben. Sie spürte Nick nicht in ihrem Innern. Sie spürte nur eine große, schmerzlich Leere.
»Es ist Zeit zu gehen«, sagte Michael. »Möchtest du mit uns fahren?«
»Nein, ich brauch ein paar Minuten, um mich zu sammeln. Ich fahr allein. Nimmst du Seamie mit?«
Michael versprach es, und Fiona ging zu ihrer Kutsche, in der Hoffnung, ein paar Minuten für sich allein zu haben. Als sie näher kam, sah sie einen großen, vornehm gekleideten Mann daneben stehen, der ihr den Rücken zuwandte. Beim Klang ihrer Schritte drehte er sich um und zog seinen Hut. Sein Haar war inzwischen silbern, aber er war noch immer attraktiv und elegant.
»Will«, sagte sie überrascht. Sie streckte die Hand nicht aus, aus Angst, er würde sie nicht ergreifen. Ihr fehlten die Worte. Seitdem sie sich vor zehn Jahren getrennt hatten, hatten sie kaum ein paar Sätze gewechselt.
»Hallo, Fiona«, sagte er. »Es tut mir leid … ich wollte … wie geht’s dir?«
»Nicht besonders gut«, antwortete sie und sah zu Boden.
»Nein, das hab ich auch nicht angenommen. Was für eine dumme Frage.« Er schwieg einen Moment und fügte dann hinzu: »Ich hab gehört, daß Nicholas … daß er gestorben ist. Ich wollte zum Begräbnis gehen, wußte aber nicht, ob du mich dabeihaben wolltest. Also bin ich hierhergekommen, um dir mein Beileid auszudrücken.«
Fiona hob den Blick. »Warum?«
Er lächelte traurig. »Weil ich von allen am besten weiß, was er dir bedeutet hat.«
Fiona senkte erneut den Blick. Ein Schluchzen erschütterte ihren Körper. Dann noch eines. Wills Worte, seine unausgesprochene Vergebung, erschütterten sie zutiefst. Der Knoten in ihrer
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