Die Teerose
nein, ein Telegramm …« Sie wurde plötzlich von Panik ergriffen. »Elgin kann die Aktien doch nicht verkaufen, oder?« fragte sie aufgeregt.
»Natürlich nicht. Nicks Guthaben sind eingefroren, solange die gerichtliche Bestätigung hier in New York noch aussteht. Rechtlich gehören sie jetzt seinen nächsten Angehörigen. Das sind Sie.«
»Gut. Gut. Teilen Sie Elgin sofort meine Wünsche mit.« Sie erhob sich und begann, auf und ab zu gehen. »Schicken Sie das Telegramm noch heute abend ab, Teddy. Heute abend. Kann das jemand in Ihrem Büro erledigen? Ich will, daß er morgen früh gleich Bescheid weiß. Los, Teddy, an die Arbeit. Mein Kutscher fährt Sie. Die Zeit reicht noch, in Ihrem Büro vorbeizuschauen, bevor Sie im Gericht sein müssen.«
Mit dem Ausdruck tiefster Verwirrung im Gesicht wurde Teddy aus Fionas Büro in ihre Kutsche gescheucht. Sie ließ ihn schwören, daß er das Telegramm abschicken würde, dann rief sie ihrem Kutscher zu, daß er ihn auf schnellstem Weg in sein Büro bringen solle.
Zurück in ihrem Büro ließ sich Fiona wie benommen auf ihren Stuhl fallen. Sie wußte nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Die Aktien, die sie so verzweifelt hatte haben wollen, waren die ganze Zeit ein Teil des Vermögens ihres Mannes gewesen. Dreißig Prozent der eineinhalb Millionen ausgegebenen Papiere. Direkt in Nicks Händen.
Alles ergab vollkommenen Sinn. 94 hätte Burton Geld gebraucht, um seinen Einstieg in den amerikanischen Markt zu finanzieren. Damals hatte er bereits dreihunderttausend Pfund von der Albion-Bank geliehen. Das wußten die Anteilseigner und waren – wie Fiona in einigen Zeitungsartikeln gelesen hatten – deswegen besorgt gewesen.
Um weiteres Kapital ohne Wissen seiner Investoren aufzutreiben, hatte Burton Elgin offensichtlich angeboten, einen Teil seiner persönlichen Anteile direkt an ihn zu verkaufen – nicht an die Bank. Und er hatte ihm einen beträchtlichen Nachlaß eingeräumt, wie Fiona den Auszügen entnommen hatte. Burton wußte, daß Elgin die Aktien nicht veräußern würde, denn er hatte ihn zweifellos davon überzeugt, daß ihr Wert nach der erfolgreichen Etablierung der Firma in Amerika – einem riesigen Land mit wachsender Bevölkerung – steigen würde. Danach würde er seine amerikanischen Profite benutzen, um seine Aktien zu einem höheren Preis zurückzukaufen, wobei Elgin riesige Gewinne machen würde.
Da der Handel geheimgehalten werden mußte, durfte Elgin keine Bankgelder dafür benutzen. Albion war jetzt eine AG, und ihre Bilanzen wurden von den Anteilseignern genau geprüft. Also mußte Elgin sein eigenes Geld einsetzen und die Aktien in einem privaten Depot, auf Nicks Konto, verstecken. Die Verwaltung übertrug er vermutlich einem persönlichen Sekretär oder einem älteren Vertrauten. Sie waren wahrscheinlich die einzigen beiden Leute in der Bank, die überhaupt wußten, daß ein solches Konto existierte. Elgin nahm natürlich an, daß die Aktien sicher waren und Nick gegenüber keinerlei Erklärungen gemacht werden mußten. Er wußte sehr gut, daß sein Sohn alles haßte, was mit der Albion-Bank zu tun hatte. Er würde die Aktien nie beanspruchen, er hatte nie Interesse an seinen Anlagewerten gezeigt, nur am Einkommen, das sie abwarfen. Und Nick war ernsthaft krank. Wenn er starb – unverheiratet und ohne Erben – würde das Vermögen einfach an seine Familie zurückfallen.
Beide Männer mußten das als perfektes Arrangement angesehen haben: Burton hatte das Darlehen, das er brauchte, Elgin würde eines Tages satten Profit einstreichen, und niemand wußte davon.
Aber es gab Dinge, die Elgin nicht bedacht hatte: Zum einen, daß Burtons Expandierung nach Amerika schiefging und dieses Desaster es ihm unmöglich machte, die Aktien zurückzukaufen, und zum anderen, daß Nick nicht bald gestorben war, sondern geheiratet hatte und alles, was er besaß, einschließlich seines Anlagevermögens, seiner Frau vermachte.
Fiona atmete tief ein und aus. Unfähig sitzenzubleiben nach dem Schock der Neuigkeit, stand sie auf. Ihr Blick fiel auf das Foto von Nick, das auf der Kredenz stand. Wenn sie es nur gewußt hätte, aber wie wäre das möglich gewesen? Er hatte ihr nie gesagt, was auf diesem Konto lag. Er wußte es ja selbst nicht. Er wußte nicht einmal, was er in seiner Brieftasche hatte.
Sie nahm das Foto in die Hand. Zum erstenmal seit Nick gestorben war, spürte sie seine Nähe. Er beschützte sie immer noch, wachte noch immer über ihr.
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