Die Teerose
sprechen. Er wünschte, er hätte dem Jungen ihre Adresse im Savoy nicht gegeben. Hoffentlich hielt er sich von ihr fern.
»Ich möchte ihn nicht sehen«, sagte sie schließlich. »Er hat viel für mich getan, und ich sollte mich persönlich bei ihm bedanken, aber ich kann nicht. Ich werde ihm schreiben. Sobald ich wieder daheim bin. Das bin ich ihm schuldig.«
Roddy nickte. Gerade als er sie bitten wollte, ihm die Ereignisse des ganzen Tages zu erzählen, klopfte es. Eine Schwester mit gestärkter Haube steckte den Kopf herein.
»Wie fühlen Sie sich, meine Liebe?« fragte sie.
»Danke, gut. Viel besser als bei meiner Einlieferung.«
»Das freut mich. Haben die Gentlemen Sie gefunden?«
»Welche Gentlemen?« fragte Fiona.
»Die Austräger?«
»Welche Austräger?« fragte Roddy scharf.
»Die beiden Burschen vom Blumenladen. Sie haben Mrs. Soames’ Zimmer gesucht. Ich hab ihnen die Nummer gesagt.«
»Ich sagte doch, Mrs. Soames darf keinen Besuch bekommen. Ohne Ausnahme.« Roddy hatte der Stationsschwester erklärt, daß nur Polizisten Zutritt zu ihr hätten. Damit mischte er sich zwar in die Belange der City-Polizei ein, aber das war ihm egal.
»Reden Sie nicht in diesem Ton mit mir, Sir!« antwortete die Schwester aufgebracht. »Das waren zwei sehr nette junge Männer. Sehr höflich. Sie hatten einen riesigen Rosenstrauß bei sich. Was hätte ich denn tun sollen? Ihnen das Bouquet abnehmen? Ich hätte es gar nicht tragen können!«
Roddy sprang sofort auf.
»Wie haben sie ausgesehen?«
»Ich … ich weiß es nicht«, antwortete die Schwester verwirrt. »Die Rosen waren so schön, da hab ich die beiden gar nicht näher angesehen.«
»Ist Ihnen irgendwas aufgefallen? Irgend etwas?«
»Sie hatten dunkles Haar, glaube ich … vielleicht um die Zwanzig. Vielleicht jünger. Sie waren groß. Stämmig.«
Wie die Hälfte aller Schläger von Whitechapel, dachte Roddy. »Kann man diese Tür versperren?« fragte er.
»Ja«, antwortete sie und zog den Schlüssel aus der Tasche.
»Bleiben Sie hier bei Mrs. Soames, und sperren Sie hinter mir ab. Meine Dienstnummer ist null-vier-zwei-drei. Fragen Sie mich danach, bevor Sie wieder öffnen.«
»Onkel Roddy, was ist denn los?« fragte Fiona.
Jede Faser an Roddys Körper witterte Gefahr, als er durch den Gang zur Hintertreppe eilte. Er stieß die Tür auf und spähte die Wendeltreppe hinunter. Zwar konnte er nichts entdecken, aber er hörte Schritte und dann das Geräusch einer Tür, die zugeworfen wurde. Im Nu war er die Stufen hinunter und durch eine Seitentür hinaus, die auf eine schmutzige Gasse führte, wo der Krankenhausmüll gelagert war. Keuchend lief er zum Eingang der Gasse und suchte mit geschultem Blick die Whitechapel Road nach den beiden Männern ab, die die Schwester beschrieben hatte. Er sah einige von dieser Sorte – ein paar gingen in ein Pub, ein anderer bestieg einen Bus, ein dritter redete mit einem Straßenhändler. Keiner wirkte verdächtig. Einige lachten oder lächelten, alle wirkten entspannt, nicht gehetzt.
Vielleicht waren es tatsächlich Austräger, dachte er und kam sich albern vor. Vielleicht hatten sie sich tatsächlich verirrt. Er drehte sich um, ging wieder zu der Gasse zurück und fragte sich, ob sein sechster Sinn, seine Intuition, auf die er so baute, ihm falsche Signale gesendet hatte. Es tat ihm leid, daß er die Schwester angeschnauzt und Fiona beunruhigt hatte.
Als er an einer großen Abfalltonne vorbeiging, stach ihm etwas Rotes ins Auge. Er drehte den Kopf und war sich sicher, daß es sich um blutige Lappen oder Laken handelte, aber es waren Rosen. Mindestens ein Dutzend. Kein verwelkter Strauß, sondern frische, herrliche Blumen. Er griff hinein, suchte nach einer Karte oder einem Rest Einwickelpapier mit der Adresse des Floristen darauf, aber nichts.
Doch das machte nichts. Er brauchte keine Adresse, um zu wissen, wer sie geschickt hatte … und wer die beiden Austräger waren. Die City-Polizei lag falsch. William Burton hatte London nicht verlassen. Er war immer noch hier. Und er wollte beenden, was er angefangen hatte.
79
H aben Sie die Adresse für den Fahrer, Sergeant O’Meara?« fragte der Page.
»Nein, ich sag sie ihm selbst, wenn ich mit Mrs. Soames eingestiegen bin.«
»Wie Sie wünschen, Sir. Ich nehme jetzt das leichtere Gepäck mit, danach hole ich die Koffer.«
Der Junge nahm eine Hutschachtel unter den Arm und dann zwei Taschen. Roddy hielt die Tür für ihn auf und versperrte sie
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