Die Teerose
schloß die Tür und steckte die Karte ein.
Die Schlafzimmertür ging auf. Mit verschlafenem Gesicht und zerknitterten Röcken trat Fiona heraus. »Ich dachte, ich hätte Stimmen gehört«, sagte sie. »War jemand da?«
»An der Tür? Ah, nein. Niemand. Nur ein Hausierer, der seinen Kram loswerden wollte.«
Fiona sah ihn verwirrt an. »Ein Hausierer? Im Hotel?«
»Ich sagte dir doch, die Sicherheit hier ist miserabel«, antwortete er und wechselte dann schnell das Thema.
80
F iona betrachtete die traurigen Holzkreuze, die aus dem Boden ragten. Die Gräber darunter waren mit langem Gras und Unkraut überwuchert. Zwei Kreuze standen schief, eines war unten abgebrochen, ein viertes von den Rostflecken der Nägel verfärbt, die es zusammengehalten hatten. Sie konnte nur noch die Überreste des Namens darauf erkennen: »Patrick Finnegan.«
Sie wandte sich an ihren Begleiter, einen großen Mann aus dem Londoner Osten, den Roddy als ihren Kutscher und Leibwächter angeheuert hatte. Er hatte Rechen, Spaten, Schaufel und eine Schere bei sich, eine Gießkanne und einen Sack Dünger.
»Sie können sie gleich hier einsetzen, Andrew.«
»Soll ich Ihren Korb holen? Und die restlichen Blumen, Mrs. Soames?«
»Wenn es Ihnen nichts ausmacht.«
Sie stellte ihre Pakete ab und wickelte sie aus. Es waren junge Rosenbüsche – Teerosen. Den ganzen Nachmittag war sie von einem Blumenhändler zum anderen gelaufen, bis sie die richtigen gefunden hatte. Der Friedhof war klein, und Andrews Kutsche stand gleich vor dem Tor. Es dauerte nur eine Minute, bis er mit einem Karton bunter Primeln und einem Weidenkorb wieder bei ihr war. Er stellte beides ab und blieb, die Hände in die Hüften gestützt, stehen.
»Ich würde gern eine Weile allein sein, Andrew. Könnten Sie in der Kutsche auf mich warten?«
Er runzelte die Stirn. »Sergeant O’Meara hat mich angewiesen, Sie nicht allein zu lassen.«
»Das geht schon in Ordnung. Im Gegensatz zu Sergeant O’Meara bezweifle ich stark, daß Burton noch in London ist, und selbst wenn, lauert er mir wohl kaum auf einem Friedhof auf.«
»Wahrscheinlich nicht. Also gut. Rufen Sie mich einfach, wenn Sie mich brauchen.«
»Das werde ich.«
Sie nahm den Rechen und begann mit ihrer Arbeit. Es war ein klarer, wolkenloser Augusttag, und die Sonne brannte ihr auf den Rükken. Es war wunderbar, sich wieder zu bewegen. Gestern waren ihr die Fäden gezogen worden. Seit sie vor fast drei Wochen ins Krankenhaus gekommen war, hatte sie nicht mehr viel Bewegung gehabt. Sie fühlte sich eingeengt durch Roddys Vorsichtsmaßnahmen und hungerte nach frischer Luft, Freiheit und etwas Zeit für sich allein.
Roddy war über ihren Ausflug nicht glücklich gewesen. Er war absolut davon überzeugt, daß sich Burton noch in London aufhielt, was sie jedoch für äußerst unwahrscheinlich hielt. Wo sollte er sich verstecken? Erst heute morgen hatte ihr Alvin Donaldson einen Besuch abgestattet, um sie über die neuesten Entwicklungen des Falls zu informieren – aber es gab keine. Burtons Haus, sein Büro und die Bank, in der er sein Geld hatte, standen unter ständiger Bewachung. Aus der Tatsache, daß ihm der Zugang zu diesen Orten verwehrt war und er seit über zwei Wochen nicht mehr gesehen worden war, schloß Donaldson, daß er irgendwo eine Summe Geld versteckt hatte, die er benutzt hatte, um eine heimliche Überfahrt über den Kanal zu bezahlen. Inzwischen werde auch in Frankreich nach ihm gefahndet, und es sei nur eine Frage der Zeit, bis man ihn gefaßt habe.
Roddy war während Donaldsons Besuch zugegen gewesen. Er hatte alles mit angehört und zugegeben, daß die Schlüsse des Mannes vernünftig klangen, dennoch wollte er nicht, daß sie das Haus verließ. Heute hatte er Verpflichtungen und bat sie, bis morgen zu warten, damit er sie begleiten könne. Aber sie hatte sich geweigert. Ihrer Meinung nach hatte William Burton ihr Leben schon lange genug überschattet. Sie wollte nicht zulassen, daß er ihr auch nur einen weiteren Tag verdarb.
Nach einer Stunde hatte Fiona auf den vier Gräbern das Unkraut gejätet und das Gras zurückgeschnitten. Als nächstes pflanzte sie die Rosen, dann die Primeln, dann füllte sie die Kanne an einem Brunnen in der Nähe und goß alles. Ihre Hände und ihr Rock waren mit Erde beschmutzt, aber das war ihr egal. Ab morgen würde sie einen Gärtner anheuern, um die Gräber zu pflegen, doch die Bepflanzung wollte sie selbst machen. Das mußte sie einfach. Sie war
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