Die Terranauten 025 - Ausflug ins Morgen
Aber die Kälte war schon zu tief in sie eingedrungen. Verzweiflung überfiel ihn. Er wußte, niemand konnte ihnen zu Hilfe, kommen. Die Wacheinheiten der Grauen waren ausgeschaltet, das Funkgerät entweder blockiert oder beim Aufprall in tausend Teilte zersplittert.
Dicht aneinandergedrängt standen sie im immer stärker werdenden Schneesturm, und jetzt schoben sich vom Norden her düstere Wolkengebirge heran, verdunkelten den Himmel und filterten die Strahlen der schwachen nordischen Sonne.
Nicht mehr lange, und das Unwetter würde sich über ihren Köpfen entladen. Und sie töten.
Bolter alias terGorden blickte wieder hinüber zu den smaragdgrünen Hügeln. Er war sicher, daß es sie vorhin – vor dem Absturz – noch nicht gegeben hatte. Irgend jemand – oder etwas – mußte sie in der kurzen Zeit erschaffen haben, und dies bestimmt nicht ohne Grund. Vielleicht waren die blitzenden Gletscher auch nur eine holografische Projektion. Ganz gleich, hier im Freien würden sie binnen Minuten nach Ausbruch des nahenden Blizzards erfrieren.
»Komm, Helena«, rief er über das Heulen des stetig stärker werdenden Windes hinweg. »Zu den grünen Gletschern!«
Sie folgte seinem ausgestreckten Arm und fuhr zusammen. Ihre Augen verengten sich. »Ich kenne dieses Objekt nicht«, stieß sie hervor. »Ich habe die topografische Karte der Gegend um Ultima Thule im Kopf – aber ich erinnere mich nicht an einen derartigen Gletscher. Die Anlagen des alten terGorden…!«
David spürte einen unerklärlichen Widerwillen den Namen seines Vaters aus ihrem Mund zu hören. Er zerrte sie mit sich durch das Schneetreiben und versuchte, die Kälte und seine Erschöpfung zu vergessen. Der Sturz … Er hatte tot sein können. Er fragte sich, was für eine Art Maschinen der vereiste Palast wohl enthielt. Konnte es nicht sein, daß seine Kontaktaufnahme mit Bolters Hausfreund die Anlagen erst aktiviert hatte?
Nur langsam wurden die grünen Eishügel größer. Mit jedem Schritt schien die Kälte zuzunehmen. Immer wieder blickte David nach oben, zu dem Schwarz im Norden, der finsteren Wand, die alles zu erdrücken schien. Von den Gleitern der Garde war nichts zu sehen. Kein Ringo zeigte sich am Himmel.
Warum reagierte die Garde nicht? Warum sah sie tatenlos der Ausschaltung einer ganzen Gleiter-Flottille zu?
Oder konnte sie nicht eingreifen?
Zu Davids Verwunderung hielt Helena Koraischowa ohne Schwierigkeit Schritt. Die scheinbar verwöhnte Manag schien von einer seltsamen Entschlossenheit getrieben und ihre Kräfte ließen nicht nach.
Sie ist zäh, dachte der Treiber bewundernd.
Deutlich wurde ihm bewußt, daß das Bild, das er sich von ihr gemacht hatte, nicht zutraf. Jetzt, wo er sie ansah, schien sie nicht in die ausschweifende, dekadente Welt der Edinburgher Oberschicht zu passen. Zuviel Energie und Selbstbewußtsein ging von ihr aus …
Helena blieb unvermittelt stehen.
Der Treiber stolperte fast, hielt dann keuchend inne und drehte sich um. Ein ärgerliches Wort lag ihm auf der Zunge, aber das Bild, das sich ihm bot, ließ ihn erstarren.
Ein Mann stapfte durch das Schneetreiben auf sie zu.
Er war nackt.
Aber die Kälte schien ihm nichts anhaben zu können und der Sturm wurde von ihm ignoriert.
Der Mann war groß und kräftig, wirkte auf den ersten Blick ein wenig dicklich, aber es war kein Fett. Der Mann war ein Hüne, dessen Muskeln bei jeder Bewegung wie Stricke hervortraten. Die Haut war dunkel, fast kupfern, und er war am Körper nur schwach behaart.
Aber dieser Mann – er besaß kein Gesicht!
Keine Augen, keine Nase und keinen Mund. Die Vorderfront seines Kopfes war glatt und kupfern und leer.
*
Mit einemmal hielt die Manag eine zierliche Laserpistole in der Hand.
»Bleiben Sie stehen«, rief sie befehlend. Ihre Stimme war schneidend, kalt wie der Nordwind, gewohnt zu befehlen. Helena erschien dem Treiber in diesem Moment fremder als je zuvor. »Wer immer Sie auch sind – bleiben Sie stehen!«
»Nicht schießen, Helena!« schrie David durch den Sturm. Vage hatte er das Gefühl, diesen seltsamen Mann zu kennen, ihm bereits einmal begegnet zu sein.
Der Mann ohne Gesicht blieb mehrere Schritte von ihnen entfernt stehen.
Er besaß keine Augen, aber er sah sie an.
Eine eigenartige Konzentration ging von ihm aus, eine Aura der Entschlossenheit, die sich der Umgebung mitteilte und Davids Herz unruhig pulsieren ließ. Er wußte mit unumstößlicher Sicherheit, daß der Mann ohne Gesicht sie in diesen
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