Die Terranauten 094 - Der Alte Wald
entsprungen, die seine nähere und mittelfristige Zukunft für ihn bereithielt. Straightwire dagegen faßte sie vollkommen ernst auf.
»Die weitreichendsten temporal-visionären Extrapolationen des Alten Waldes verweisen darauf«, sagte er wie auf eine ganz konkrete Frage, »daß der Kosmos die Phase seiner heutigen Existenzform in vollkommenem Frieden abschließen und nicht an einer Katastrophe zugrunde gehen wird. Voraussichtlich entwickelt sich dann auf Neutronensternen quantenphysikalisches Leben.«
»Was?« David blieb stehen und starrte Straightwire an.
»Nun, in rund zehn hoch achtzehnhundert Jahren wird alle Materie sich in Eisen verwandelt haben. Das ist der Anfang einer völlig neuen, für uns gänzlich unvorstellbaren Etappe im Kontinuum des Universums. In einem linearen Kosmos gibt es kein Ende. Alles setzt sich in veränderter Form fort. Es gibt nie einen Stillstand. Irgend etwas geschieht immer. In alle Ewigkeit.«
Für einen längeren Moment blieb David sprachlos. Verlegen schob er seine Hände in die Taschen. »Für unsereins klingt das aber nicht allzu ermutigend, oder?« Er holte eine Hand wieder heraus und vollführte eine fahrige Gebärde. »Ich meine zu wissen, daß alles, was heute existiert, die guten und schlechten Dinge gleichermaßen, morgen sang- und klanglos als überholt verschwinden wird, ist nicht eben ein Ansporn, sich mit allen Mitteln für den zeitweiligen Erhalt eines Teils davon einzusetzen. Oder wie denkst du darüber?«
»Die kosmische Zeitspanne, die ich vorhin erwähnt habe, ist von so langer Dauer, daß man nicht von ›morgen‹ sprechen kann, David«, entgegnete der Lenker nachsichtig. »Zwischen dem Ende unserer Zukunft und dem Beginn der quantenmechanischen Periode des Kosmos wird ein so erheblicher zeitlicher Abstand liegen, daß an unser Vorhandensein schwerlich noch eine Erinnerung bestehen dürfte. Es wird zwischen uns und jener fernen künftigen Phase der kosmischen Entwicklung keinen Zusammenhang geben. Im Vergleich zur Zeit, die bis dahin noch verstreichen wird, kann man den Zeitraum, der uns von den Uralten trennt, als eine Hunderttausendstelsekunde eines vollen Jahres abtun. Über solche Abgründe von Zeit hinweg bleiben keine kulturellen und zivilisatorischen, ja, nicht einmal organischen oder biologischen Komplexe erhalten. Wir haben keinen Bezug zu jener entfernten Zukunft, David. Wir sprechen über Sachverhalte, die unseren Begriffen von Raum und Zeit abstrakt bleiben müssen.«
»Wenn sogar du das sagst«, murmelte David, »wird’s wohl wahr sein.« Leicht bekümmert nickte er vor sich hin. Es stimmt, gestand er sich ein. Man kann solche Zahlen und Fakten in Worte fassen, ohne daß der Verstand sie erfaßt hat. Ich rede von Dingen, die ich eigentlich gar nicht glauben kann. So ist mir jedenfalls zumute. Oder falls ich sie doch glaube, dann sind sie mir aufgrund ihrer Fremd- und Entferntheit egal. Es ist alles genauso, als ob ich zu derartigen Spekulationen außerstande wäre.
»Du kannst versuchen, dich durch eigene Eindrücke davon zu überzeugen«, schlug Straightwire vor. »Die Visionen des Alten Waldes sind in seinem Gedächtnis bewahrt. Schau.«
Verdutzt verharrte David. Aber ehe er sich entscheiden konnte, verschwand seine Umgebung, und er verspürte ein Gefühl des Fallens, als verlasse sein Geist den Körper. Samtene Schwärze verschlang ihn, und sein Bewußtsein stürzte hinaus in ein komprimiertes kosmisches Panorama. Er schien sich auszudehnen; oder das Universum schien sich rings um ihn zusammenzuziehen, als wäre er sein Mittelpunkt geworden. (Und in derselben Sekunde, als ihn diese Wahrnehmung befiel, hatte er den Gedanken – die Furcht! –, daß es sich in gewisser Beziehung tatsächlich so verhielt.)
Die Vision drang mit der gnadenlosen Faktizität eines Naturschauspiels auf ihn ein.
*
Das Universum bestand aus in Zeit gebetteter Finsternis. Alle Sonnen waren vor ungezählten Äonen erloschen. Nur gelegentlich flackerte irgendwo die Explosion eines Schwarzen Loches wie ein fernes Wetterleuchten.
Die Dunkelheit war kalt. Sämtliche thermische Energie war verflogen. Der ganze Kosmos befand sich buchstäblich am absoluten Nullpunkt. In den Molekülen der Materie waren längst alle Prozesse zum Erliegen gekommen.
Nur unter dem Einfluß der durch Quantenfluktuationen erzeugten Nullpunktenergie hatte sich die Materie während einer unüberschaubar langen Zeitspanne weiter verändert. Alle Elemente, die leichter gewesen waren
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