Die Terranauten 094 - Der Alte Wald
wieder ein neuer Kosmos geboren, mit Leben, von dem wir uns nicht einmal die allerentfernteste Vorstellung machen können. Aber wahrscheinlich wäre Ratatosk in diesem hypothetischen künftigen Drittkosmos der absolute Herr und könnte alles nach seinem Willen gestalten. Vielleicht entstünde ein Kosmos, in dem Entropie und Kontinuität vereinbar sind. Wer kann’s wissen?«
»So einen Gegner zu haben, gefällt mir überhaupt nicht«, brummte David und patschte die Handflächen ineinander.
»Ratatosk ist so wenig böse oder schlecht wie wir. Das habe ich bereits angedeutet. Bloß bedingt seine Existenzform, daß es in einer einzigen, allerdings grundsätzlichen und alles entscheidenden Sache sozusagen unser Negativ ist. Das ist tragisch, aber unausweichlich.«
»Es würde mich interessieren, ob sich nicht doch eine andere Lösung finden läßt«, äußerte David nachdenklich.
»Du hast dein gegenwärtiges Hauptproblem noch nicht behoben, und schon willst du dir ein neues aufladen?« schalt Narda.
»Nach meiner Meinung hängen diese Probleme durchaus zusammen«, widersprach ihr David. »Aber lassen wir das auf uns zukommen. Eigentlich hatte ich vorhin etwas anderes im Sinn. Wenn ich schon derartig vorsichtig sein muß, möchte ich doch lieber sofort damit anfangen. Manchmal kann man nämlich dadurch hereingelegt werden, daß andere, die daran ein Interesse besitzen, von vornherein die Weichen falsch stellen.« Er heftete einen herausfordernden Blick auf den Lenker.
Straightwire musterte ihn mit ausdrucksloser Miene. Dann zeigte sich plötzlich in seinen Augen ein flüchtiges Aufleuchten des Verstehens. »Du wünschst, daß ich meine Identität als Lenker beweise?«
»Ja«, erwiderte David. »Ist das zuviel verlangt?«
Urplötzlich hörte er in den Wipfeln hinter seinem Rücken ein leises, kaum vernehmliches Rascheln. Blitzartig ruckte sein Kopf herum.
*
Trauer und Enttäuschung beherrschten das schlichte, halbintelligente Gemüt des Sammlers. Weit war er gereist, unermüdlich, unverdrossen, voller Freude auf das erhoffte Wiedersehen. Er hatte den Flug zum Lebenden Wald wie einen Weg nach einem lange verschollen gewesenen Zuhause zurückgelegt.
Nun hatte er den Lebenden Wald erreicht, gemeinsam mit den Aufrechten und dem kleinen, zahmen Orkansegler, der an seiner harten, rauhen Außenschale hing und allem ringsherum wenig Bedeutung beimaß, nur auf die Befehle seines Herrn wartete, auf den er vollkommen abgerichtet war, und nicht verstand, warum sein Herr die Dienste eines Wilden bevorzugte. Aber die Obergöttlichkeit des Lebenden Waldes schenkte dem Sammler keine Beachtung. Darin war kein Grund zum Befremden zu sehen. Die Obergöttlichkeit, die das Ganze verwaltete, konnte für ein verirrtes Geschöpf wie ihn keine Aufmerksamkeit erübrigen.
Die Knospen-Götter dagegen waren anders gewesen. Sie hatten sich freundlich gezeigt. Der Sammler hatte erwartet, am Ort ihres Exils genauso empfangen zu werden. Denn er kehrte zu seinen Schöpfern und Meistern heim. Er war ein Heimkehrer und gehörte zu ihnen. Er bewies seine Treue.
Doch die Knospen-Götter, die im Lebenden Wald wohnten, hießen ihn nicht willkommen. Sie nahmen seine Ankunft nicht zur Kenntnis. Sie wollten von seiner Anwesenheit nichts wissen. Sie leugneten, daß er heimgefunden hatte. Sie versagten ihm das Lob für seine Heimkehr.
Die Knospen-Götter schwiegen.
Die flehentlichen Impulse seiner Sensorstengel rührten sie nicht. Seine Anrufungen ließen sie hart und kalt wie Versteinerungen. Die Seelen der Knospen-Götter schienen gestorben zu sein. Sie schwiegen.
Das anspruchslose Quasibewußtsein des Sammlers war überflutet von Trauer und Enttäuschung. Die Begegnung, der er entgegengeblickt hatte wie einem Höhepunkt seines Daseins, einer Erhöhung und Verklärung, war zu einem Sturz in den Pfuhl der Demütigung geworden. Die Götter hatten sich von ihm abgewandt. Sie schwiegen.
Hatten die Götter in seinen freudigen Erwartungen einen Beweis für Hochmut und Anmaßung gesehen? Lag ihnen daran, in ihrem Exil ungestört zu bleiben? Der Sammler wußte es nicht. Die Knospen-Götter schwiegen.
Das Schweigen der Götter und seine Trauer schufen im bescheidenen, friedlichen Gemüt des Sammlers einen bodenlosen emotionalen Abgrund des Unglücks.
*
Durch das dichte Grün des Blätterdachs am Rande der Lichtung sah David eine Knospe des Baumes heranschweben. Sie glich einem lebendigen, intelligenten Triadischen Monochord. Ihr
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