Die Terranauten TB 06 - Monument der Titanen
sich der Neutrumjünger dem Spalt in der Felswand zu, über dem sich das Titanensymbol befand.
Das Sanctum an seinem Hals glühte hell und warm, heller und wärmer als jemals zuvor.
»Nein«, murmelte Tirion. »Es ist nicht nur die Reifezeit der Seidenspinner-Kokons. Vielleicht kann es mir gelingen. Vielleicht hat mich das Schicksal dazu auserwählt, die Monumentschwelle zu überwinden.« Und die Erregung in dem Neutrumjünger nahm zu, als er sich diese Möglichkeit vorstellte.
Der Fels war kalt und rauh, aber das Sanctum wärmte es mit einer inneren Flamme und einer leisen, tröstenden Stimme zwischen seinen hoffnungsvollen Gedanken. Tirion zwängte sich durch die Spalte, die sich kurz darauf verbreiterte zu einem kleinen Tal. Geröll bedeckte den Boden. Hier oben wuchs nichts außer zähen Flechten, einigen Granitmoosen – und den Kokons der Seidenspinner.
Einige Dutzend Meter weiter, hinter einem kolossalen Granitmonolith, erhob sich das dunkle Rechteck eines der Alten Tore. Tirion blieb kurz stehen und betrachtete die Zeichen und Symbole, die die beiden marmornen Säulen zierten. Vor einer halben Ewigkeit, so hieß es, hatte man mit dem Durchschreiten dieser Tore andere Weite betreten können, und in den ältesten Aufzeichnungen der Weisen Titanenjünger stand geschrieben, daß es einst Handel gab mit diesen fremden Ländern, auch einen befruchtenden Austausch von geistigen Gütern, von Ideen und Vorstellungen. Dann aber hatte der Titan die Tore gesperrt und verriegelt und sich zum Schlaf in seinem Monument niedergelegt. Und seitdem war es keinem Neutrumjünger gelungen, ihn zu wecken, auch nur einen Fuß über die Schwelle seines Refugiums zu setzen.
Tirion schritt weiter. Die lichtlosen Wolken wehten nun rasch dahin und wichen dem Glanz der Tagzeit. Und in dem hellen Licht glänzten und gleißten die Kokons der Seidenspinner. Sie klebten lohfarbenen Blasen gleich an den Felswänden der Heiligen Schlucht. Sie bildeten ein gewaltiges Netz, das mit dünnen silbernen Fasersträngen die einzelnen Kokons miteinander verband.
Tirion wartete und beobachtete die an den Strängen entlangkriechenden Seidenspinner. Kurz darauf schritten ihr die ersten Sammler entgegen. Sie hatten ihre Fackeln gelöscht und in den Taschen verstaut, die sie mit sich führten. Das Licht der Tagzeit reichte nun völlig aus.
Tirion griff nach seinem Sanctum, als die Kokonsammler einen Kreis gebildet hatten, in dessen Zentrum sich der Neutrumjünger befand.
»Ich segne euch und eure Arbeit!« rief Tirion, und das Sanctum sprühte schimmernde Funken. »Und gebt acht:
Erntet nur die Kokons an den Netzaußenseiten, jene, die nur mit einem Faserstrang mit den anderen verbunden sind; löst die Netzstränge vorsichtig, denn sonst führt eure Ernte zu Siechtum der Seidenspinnerfrüchte in den anderen Schalen. Ich segne euch Sammler, auf daß eure Arbeit erfolgreich sei.«
Und eine Vielzahl von Stimmen antwortete ihm:
»Wir danken dir. Neutrumjünger. Wir danken dir für deinen Segen und deinen Rat. Wir werden ihn beherzigen.«
Sie holten die Saugnäpfe heraus und begannen, an dem glatten Felswänden emporzuklettern. Tirion beobachtete sie eine Weile, und als es sich vergewissert hatte, daß ihnen keine Gefahr drohte und die Seidenspinner die traditionelle Teilerntung stillschweigend billigten, wandte es sich um und schritt dem Fuß der Treppe entgegen. Vor der ersten Stufe verharrte der Neutrumjünger und legte den Kopf in den Nacken.
Die Treppe führte weit hinauf, bis in die Schneebereiche. Tirion war schon mehrere Male hier gewesen, zusammen mit dem Weisen Titanenjünger, manchmal auch mit seinen Pflegerinnen. Es hatte gewußt, daß es eines Tages diesen Weg zu beschreiten hatte. Jetzt war es soweit.
Das Sanctum strahlte.
Und weit oben, dort, wo die steinernen Stufen in den Bergrücken selbst hineinrührten und dann schließlich vor der Monumentschwelle endeten, klebte das Dunkel des Wandernden Tors. Der Schalten von Furcht regte sich in Tirion. Das Wandernde Tor hatte sich nicht von der Stelle gerührt, seit Tirion es das erstemal gesehen hatte, aber die Warnungen der Weisen hatten immer wieder davon gesprochen. Es sei der Eingang zum Tunnel, hatten sie Tirion erklärt, und der Titan habe es damals blockiert, so wie die anderen – stationären – Tore auch.
Der Neutrumjünger setzte den Fuß auf die erste Stufe, betrat dann die zweite und dritte. Einige der Sammler winkten. Es gab den Gruß zurück, und die Aufregung stieg
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