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Die Terranauten TB 15 - Im 176. Jahr

Die Terranauten TB 15 - Im 176. Jahr

Titel: Die Terranauten TB 15 - Im 176. Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Weiler
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tief. Er umfaßte mit einer Hand den an der Kette um seinen Hals baumelnden Namensstein, und Tairits Herz schlug unwillkürlich schneller.
    »Der Tag ist gekommen«, sagte er, und als er sprach, schien sogar das Flüstern des Windes zu verstummen. »Lange habt ihr gewartet, Tairit und Xala. Ihr seid auf gewachsen in der Fürsorge von Unterweisern und Unterweiserinnen. Ihr habt die Gemeinschaften eurer Dörfer erlebt. Der heutige Tag bringt das Ende eurer Jugendzeit. Heute werdet ihr Namenssteine erhalten und somit zu vollwertigen Mitgliedern der Gemeinschaft der Mulcalin. Heute werden wir die Stadt derer, die vor uns waren, erreichen. Wir werden das finden, was wir suchen.«
    Der alte Mann stimmte einen melodischen und fast traurig stimmenden Gesang an. Die Ewige Flamme über dem Granitopal wuchs in die Höhe. Eine Aura aus Wärme und Helligkeit hüllte die am Boden kauernden Mulcalin ein. Als der Prete die Hände wieder sinken ließ, starb die Flamme.
    Leise wisperten die Winde. In wenigen Stunden würden sie verstummen und sich dann umkehren: von den Tiefentälern aufsteigen zu den Höhen Haydraths, um irgendwo dicht unterhalb der Oberwelt zu sterben und kondensierten Kristallstaub herabzuregnen.
    Schweigend bestiegen die Mulcalin die Schattenleguane, die ihr Frühstück inzwischen ebenfalls beendet hatten.
    »Ho!« rief der Prete, und die Wallfahrt-Karawane setzte sich wieder in Bewegung. Es ging weiter nach Süden, zwischen den Felswänden des Tiefentales entlang. Ruhig bewegten sich die Leguane. Felsen knirschten unter den breiten Pranken ihrer Sprungbeine, und dann und wann züngelte eine Klebzunge. Tairit hatte Mühe, sich zu konzentrieren. Dies war ein großer Tag für ihn. Und es war nur angemessen, ihn auch mit der entsprechenden Besinnlichkeit zu begehen.
    Manchmal bebte die Erde. Aber sie waren noch viel zu weit von den Erdbebenschollen des Südwestens entfernt, um gefährdet zu sein, und hatten sie erst die Stadt erreicht, drohte ihnen von Haydrath selbst ohnehin keine Gefahr mehr. Dort war es ruhig. Immer. Seit dem Anbeginn der Zeit.
    Die Stunden verstrichen. Mualt stieg höher, ein trüber, roter Ball, gefolgt von Shenth, einem grünen Fleck. Eine Brücke aus Helligkeit verband die beiden Sonnen Haydraths miteinander, das, was die Menschen tief im Süden Materiebrücke nannten. Bald darauf schob sich Dunkelheit über den Himmel. Es war eine der Wandernden Dämmerungszonen, die den Tag in Halbnacht verwandelten. Die Schattenleguane fanden dennoch ihren Weg, ruhig, sicher, zielbewußt. Das Tiefental erweiterte sich kurz darauf und mündete in einen der Trichter, auf die man auf ganz Haydrath immer wieder stoßen konnte.
    Innerhalb dieses Kleintrichters lag die Stadt.
    Tairit sah eine solche Stadt nicht zum erstenmal, und doch war es diesmal etwas anderes. Es war nicht nur einfach ein Besuch, eine stumme Andacht. Es war die Suche nach einem Namensstein. Es war die bevorstehende Weihe.
    Die Leguane krochen den Hang hinab. Ruinen glitten wie von Geisterhand bewegt an ihnen vorbei, stumme Zeugen einstigen Glanzes. Vielleicht waren sie so alt wie Haydrath selbst; einige Preten behaupteten das allen Ernstes. Millionen Jahre mochten sie allein den Wettern der Welt getrotzt haben. Sie waren beeindruckend, aber nicht ewig. Die hynan. Eine Hieroglyphen-Interpretation der Preten-Obmänner. Ein Wort, das soviel bedeutete wie: Sie waren am Anfang der Zeit, und sie starben, lange bevor wir geboren wurden. Häuser, die sich in Mulden duckten, teilweise vom herangewehten staubigen Sand bedeckt, teilweise eingestürzt. Leere Fensterhöhlen – wenn es Fenster gewesen waren. Tairit nahm die Aura der Zeitlosigkeit in sich auf. Der Prete stimmte einen melancholischen Gesang an, Respekt vor den Geistern der hynan, die noch immer auf Haydrath weilten, die Bitte um Schutz und wohlmeinende Zuwendung.
    Nach kurzem Zögern stimmte Tairit in diesen Gesang mit ein, und er schöpfte Kraft und Sicherheit aus den Worten, die einer anderen Sprache angehörten.
    Zum Zentrum der Stadt hin nahm der Eindruck langsamen Zerfalls ab. Die Gebäude wurden höher, die Wände glatter. Manche waren fast transparent und wirkten so spröde wie Glas. Wenn die Fallwinde darüber hinwegstrichen, ertönten seltsame Laute, die Tairits Innerstes vibrieren ließen. Der Prete ließ die Zügel seines Schattenleguans los und formte mit beiden Händen eine Kalte Flamme, die Licht schenkte und eine Orientierung möglich machte.
    Voraus war phosphoreszierendes

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