232 - Höllisches Paradies
Schura lachte hart. »Du bist eine Legende, mein Freund! In ein paar Stunden fällt uns dieser verdammte Komet auf den Kopf, und die geben dir den Auftrag, nach Süden zu fliegen? Was sollst du da?«
»Den Abschuss des Kometen beobachten«, knurrte Stanislav.
»Ich denke, die Amis schicken schon eine Flugstaffel hoch«, antwortete Stanislav.
»Eben.« Prodenko bleckte die Zähne. »Man ist offenbar der Meinung, die Amis könnten uns was verheimlichen. Und damit es nicht wie Schnüffelei aussieht, schicken sie die Berijew statt einem Düsenjet. Lachhaft!«
»Du warst überhaupt der Erste, der die Berijew jemals geflogen ist, damals, vor vierzehn Jahren!«, erinnerte sich Schura. »Ein Mehrzweck-Amphibienflugzeug für die Regierung, und du hast es getestet. Ganz zu schweigen von deinem Ritt nach Taganrog.«
Die EMERCON hatte den ehemaligen Kapitän der Luftwaffe nach dem Niedergang der UDSSR mit Handkuss eingestellt. Seit 1998 flog Stanislav Prodenko eine Berijew Be-200. Ihm hatte die EMERCON diese Maschine zu verdanken. Er hatte gezeigt, was in ihr steckte. Erst dann hatte man eine davon und später mehrere angeschafft. Der Flug von Irkutsk nach Taganrog war heftig gewesen. Nach sechsundzwanzigeinhalb Flugstunden war er gelandet. Zu Tode erschöpft, aber überglücklich.
»Du bist ein Held, mein Lieber«, sagte Schura. »Und so jemanden verheizt man, indem man ihn Mäuschen spielen lässt? Tausende Menschen warten darauf, evakuiert zu werden. Wir können, wenn sich alle dünn machen, bis zu hundert Leute pro Flug aufnehmen. Aber anstatt uns unseren Job machen zu lassen…«
Stanislav unterbrach ihn: »Tomarek, dieser Swolotsch, hat den Befehl von allerhöchster Stelle gekriegt. Sie wollen den Besten dort oben haben. Sie glauben, das sei ich!«
Stanislav verabscheute den ehemaligen General Tomarek, der bei EMERCON ein hohes Amt bekleidete, jedoch seine Gesinnung mit sich herumtrug wie ein T-Shirt mit der Aufschrift: Es lebe Jelzin!
»Womit sie auch wieder recht haben. Du bist der Beste!«, nickte Schura, als sei damit die Sache für ihn erledigt. »Werden die Jungs von der ISS das Ding abschießen?« Er drückte die Kippe unter seiner Schuhspitze aus und leerte seine Teetasse. »Man sagt, die Amis hätten in den großen Städten wie Washington oder New York riesige Bunker gebaut. Meinst du, die tun das, wenn sie an einen Erfolg glauben?«
»Wir glauben doch auch an einen Erfolg, nicht wahr? Dennoch evakuieren wir, was das Zeug hält.«
»Der Komet wird uns den Schädel wegreißen, ganz hier in der Nähe!«
Stanislav sagte wie selbstverständlich, konzentriert, ganz ehemaliger Offizier: »In der Nähe von Krasnojarsk 56°00’27,2 Nord und 92°52’53,4 Ost.«
»Das wäre das Ende der Welt…«, murmelte Schura.
»Nicht das Ende…«, verneinte Stanislav. »Aber es würde vieles verändern.«
Die Männer standen sich gegenüber. Stanislav legte seinem langjährigen Freund eine Hand auf die Schulter. »Ich muss los. Auch ich würde lieber Menschen evakuieren, als diesen Beobachtungsflug zu unternehmen.«
Schura schluckte hart. »Wir schaffen das…«
Stanislav Prodenko ging und blieb an der Tür stehen. Er drehte sich abrupt um. Sein Gesicht war hart und schmal. »Mein Auftrag… irgendwas stimmt damit nicht. Die von EMERCON haben etwas vor, aber ich weiß nicht, was. Eigentlich hat sich seit Putins Ermordung nicht viel geändert … Immer noch dieselben Seilschaften. Swoladschkis sind sie allesamt. Aber ich werde zurückkehren. Und dann knöpfe ich mir Tomarek vor!«
»Sehen wir uns wieder?«
»Selbstverständlich. Da swidanja, mein Freund!«
Als hinter dem legendären Kapitän die Tür zufiel, begann Schura zu schluchzen.
***
Draußen wäre Stanislav um Haaresbreite über den kleinen Mann gestolpert. Nebel lag über dem Rollfeld. Es stank nach Kerosin.
»Einen Moment, Gospodin Prodenko!«, zischte der kleine Mann.
»Ja?«
»Sie sind auf dem Weg zu Ihrer Maschine?«
»Was geht Sie das an?«
Der kleine Mann faltete ein Blatt auseinander. »Mein Name ist Doktor Petja Artjenko. Ich bin ausgebildeter Copilot und werde Sie auf Ihrem Flug begleiten.«
Stanislav las den Wisch und nickte. »Schon wieder ein überraschender Befehl von Tomarek, Doktor…?«
»Artjenko«, wiederholte der Mann.
»Warum sollen Sie mich begleiten?«
»Das hat vielleicht etwas mit vier anstatt mit zwei Augen zu tun.«
Stanislav zuckte mit den Schultern. »Von mir aus machen Sie es sich neben mir bequem. Diesmal nehmen
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