Die Therapeutin - Grebe, C: Therapeutin - Någon sorts frid
doch schon gesagt!«
»Und was haben Sie da gemacht? Ich meine, bevor es dazu kam?«
»Meine Mutter besucht. Da waren nur wir beide. Sie hat Essen gekocht und so. Und Wein eingekauft.«
»Dann waren Sie also nicht auf einer Mittsommerfeier?«
»Nee, es war eher so eine, wie heißt das … eine Metapher. Eine Metapher dafür, wie schrecklich diese Mittsommernacht ist. Alle sind so fröhlich. Man muss sich mit der Familie treffen und fröhlich sein. Es ist… irgendwie so gezwungen.«
»Dann waren Sie beide nicht fröhlich?«
Sara bleibt eine ganze Weile unbeweglich sitzen, ohne etwas zu sagen, und ausnahmsweise hält sie sogar ihre Hände ruhig auf den Knien, während sie nachdenkt. Im Zimmer ist
nur das Surren der Videokamera zu hören, die unser Gespräch aufzeichnet. Sara seufzt schwer, und als sie wieder anfängt zu reden, kann ich trotz des ruhigen, beherrschten Tonfalls ihre Wut spüren.
»Ne, das können Sie sich doch denken. Ich weiß wirklich nicht, was das hier bringen soll. Ich habe doch schon mindestens tausend Mal über meine Mutter geredet. Sie wissen , dass sie eine Säuferin ist. Hallo, muss ich Ihnen das noch aufschreiben? Es war wie immer. Alles sollte so schön sein … aber dann … hat sie nur gesoffen, und dann hat sie angefangen zu jammern. Sie wissen, so wird sie ja, wenn sie säuft. Traurig und… irgendwie … irgendwie bereut sie dann alles. Sie scheint dann wirklich alles zu bereuen. Als sollte ich ihr verzeihen, dass sie keine gute Mutter war. Finden Sie, dass ich das sollte?«
»Was finden Sie?«
»Ne, ich finde das nicht. Ich finde, es ist nicht zu verzeihen, was sie mir angetan hat.«
»Und was haben Sie also gemacht?«
Sara zuckt mit den Schultern, und ich kann ihrer Körperhaltung entnehmen, dass sie keine Lust hat, weiterzureden, weder über ihre Mutter noch über sich selbst. Ihre Stimme ist schrill geworden, und am Hals zeichnen sich hektische rote Flecken ab, als wäre Wein auf einer Leinendecke verschüttet worden.
»Ich bin abgehauen. Kann’s nicht ausstehen, wenn sie heult.«
»Und dann?«
Sara windet sich und zündet sich eine weitere Zigarette an.
»Nach Hause. Ich bin nach Hause gefahren.«
»Und?«
»Mensch, Sie WISSEN doch, was dann passiert ist. Daran ist nur die Alte schuld. Ich kann irgendwie nicht… ich kann nicht mehr atmen, wenn ich dort gewesen bin.«
Jetzt ist Sara wütend. Das ist gut, ich werde versuchen, das Gefühl am Leben zu halten. Meistens dringen eine Menge Wahrheiten durch, wenn Sara wütend ist. Der Schutzwall der Selbstmanipulation verschwindet und wird von einer rohen Ehrlichkeit ersetzt, wie man es bei Personen kennt, die nichts zu verlieren haben, die es nicht interessiert, was man von ihnen hält.
»Sie haben sich geritzt?«
»Na logisch hab ich mich geritzt.«
»Erzählen Sie!«, fordere ich sie auf.
»Also, nun mal ehrlich, Sie wissen doch, was passiert ist.«
»Es ist wichtig, Sara.«
»Ich habe mich am Arm geritzt. Zufrieden jetzt?«
»Sara … hören Sie mir zu! Das, was Sie beschreiben, das, was Sie fühlen, das ist doch vollkommen verständlich. Es ist Mittsommernacht, Sie besuchen Ihre Mutter, sie ist betrunken und bittet Sie um Verzeihung, das wühlt jede Menge an Gefühlen auf. Können Sie das sehen?«
Sara schaut auf ihre Finger. Studiert sorgsam jeden Nagel. Sie nickt, als wollte sie bestätigen, dass auch sie findet, dass ihre Gefühle und Reaktionen möglicherweise verständlich sind.
»Das Problem ist nur, dass Sie sich selbst Schaden zufügen, wenn die Angst kommt, und das ist keine gute Lösung, schon gar nicht auf lange Sicht.«
Wieder nickt Sara. Sie weiß, dass das Trinken, das sich selbst Verletzen oder die impulsiven sexuellen Beziehungen nur für eine gewisse Zeit Linderung bringen und dass die Selbstverachtung und der Schmerz danach doppelt so stark zurückkehren. Ihr verzweifelter Versuch, die Angst im Griff zu behalten, verstärkt diese nur noch.
»Haben Sie es mit dem versucht, worüber wir schon einmal gesprochen haben? Sie wissen, zu versuchen, die Angst zu
ertragen. Sie wissen doch, wodurch sie ausgelöst wurde. Die Angst an sich ist nie gefährlich. Sie fühlt sich nur so an. Sie müssen daran arbeiten, dieses Gefühl zu ertragen. Nur für eine Weile, denn dann geht sie vorbei.«
»Ich weiß.«
»Und die anderen Male?«
»Welche anderen Male?«
»Als Sie sich geritzt haben.«
Sie seufzt und schaut demonstrativ aus dem Fenster. Die Wut in ihrer Stimme ist zum Teil durch Müdigkeit
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