Die Therapeutin - Grebe, C: Therapeutin - Någon sorts frid
auf ihre Akte – dick wie eine Bibel ist sie -, mit den Berichten der Sozialämter, den Aktenauszügen von der ambulanten psychiatrischen Betreuung und der geschlossenen Anstalt. Gedankenverloren lasse ich die Finger über die Seiten gleiten. Mein Blick bleibt bei den Aufzeichnungen aus dem St.-Görans-Krankenhaus hängen, aus der Zeit, als Sara in die Psychiatrie aufgenommen wurde.
Patientin: Sara Matteus, Personenidentifikationsnummer: 821123 – 0424
Kontaktaufnahme: Pat. kommt akut in die Psych. 18.37 Uhr auf Veranlass. der Polizei Norrmalm, nachdem sie wegen Ladendiebstahls bei Twilfit im Einkaufszentrum festgenommen wurde. Da Pat. sich verwirrt und aggressiv verhielt, wurde sie von Polizei zur Aufnahme in die Psych. gebracht.
Aktuell: Pat. ist eine 18-jährige Frau mit Drogenproblemen und Angststörungen. Sie war schon früher in Kontakt sowohl mit der Jugendpsych. als auch der psych. Ambulanz (Vällingby, ambulante psychiatrische Klinik). Momentan hat Pat. keinen psych. Kontakt und auch keine Medikation. Pat. erklärt selbst, dass es ihr sehr schlecht geht und sie Hilfe braucht. Sie ist zeitweise klar ansprechbar und klagt dann über große Ängste und kann berichten, dass sie Drogen genommen hat, kann sich aber nicht erinnern, welche. Ansonsten aggressiv, zeigt Zeichen paranoider Zwangsvorstellungen dahingehend, dass sie von Sozialarbeitern und Polizei verfolgt wird. Pat. weist Zeichen von Eigenverletzungen auf (Narben und Wunden an den Unterarmen und an der Schenkelinnenseite).
Ich lasse seufzend die dicke Patientenakte los, so dass sie mit einem dumpfen Knall zu Boden fällt. Ich habe meine Dosis an Sara Matteus für heute gehabt. Es ist Zeit zu lüften und mich auf Ilja vorzubereiten, die russische Mutter eines Säuglings, die ihren schwedischen Mann via Internet kennen gelernt hat. Die so tüchtig und angepasst ist und als OP-SCHWESTER im privaten Sophia-Krankenhaus arbeitet, aber unter dem ununterdrückbaren Zwang leidet, im Gartenschuppen der Familie alle Messer und Scheren zu verstecken, aus Angst, sie könnte ihr Baby mit einem scharfen Gegenstand verletzen.
Es könnte ein Idyll sein.
Mein Haus ist klein und liegt nur einen Steinwurf vom Strand entfernt. Große Terrassenfenster nehmen die ganze Breitseite zum Wasser ein. Es ist ein helles Haus. Der Boden ist mit alten, dicken, abgetretenen Kieferbohlen bedeckt, zwischen denen tiefe Spalten laufen, angefüllt mit dem Staub mehrerer Jahrzehnte.
In der Küche muss sich die Originaleinrichtung aus den Fünfzigerjahren mit abgeschmirgelten Schiebetüren aus vormals blau gestrichenen Sperrholzbrettern mit neuen Küchengeräten arrangieren. Das Schlafzimmer zeigt auf die Klippen der einen Buchtseite, und durch das große Fenster kann man das Meer sehen, selbst wenn man im Bett liegt, das viel zu breit für mich ist.
Badezimmer und Toilette liegen in einem separaten Gebäude; dem kleinen Häuschen, das einmal der Holzschuppen war. Um dorthin zu gelangen, muss ich durch die Tür an der Frontseite nach draußen und zwischen den Rabatten mit den Buschrosen entlang.
Vor den Häusern breitet sich eine kleine Grasfläche aus. Unkraut und Gestrüpp machen alle traditionellen Rasenbemühungen unmöglich. Stattdessen habe ich zwei kleine Trampelpfade durch die wild wuchernde Vegetation gelegt; einen zu dem schiefen alten Anleger und einen zu den Klippen.
Am Strand wachsen Fetthenne, Heide und Grauer Thymian wild durcheinander. Kleine, windgepeitschte Zwergkiefern klammern sich an die hohen Klippen, hinter denen der
Wald und die Wildnis beginnen. Obwohl ich nicht einmal eine Stunde von Stockholm entfernt wohne, liegt das nächste Haus fast einen Kilometer entfernt.
Es war Stefans Idee, hier zu wohnen, spartanisch und nahe der Natur, nahe den Tauchmöglichkeiten. Es klang wie ein guter Vorschlag. Damals. Kein Traum war zu naiv, keine Idee zu verwegen für mich. Jetzt kann ich das nicht mehr sagen. Mit der Einsamkeit ist auch eine sonderbare Passivität über mich gekommen; eine Glühbirne zu wechseln scheint mir wie eine große Sache, und den Holzfußboden zu streichen wie ein nicht durchführbares Projekt – unmöglich in einzelne Arbeitsschritte einzuteilen. Umziehen geht schon gar nicht. Ich wüsste nicht, wo ich anfangen sollte.
Meine Freunde betrachten mich mit einer Mischung aus Mitleid und Besorgnis, wenn sie mich besuchen. Sie sind der Meinung, ich sollte Stefans Sachen wegräumen: den Rasierapparat aus dem Badezimmer, die
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