Die Tiere in meiner Arche
Reagierte auf leises Ansprechen. Leises Grunzen. Ich hielt ihm etwas zu trinken hin und dachte, er würde es nehmen. Ersetzte sich auf, legte sich dann aber wieder hin.
6.00 Uhr. Schläft fest. Keine Magenkrämpfe zu sehen.
6.50 Uhr. Wachte auf, kam sehr schwach zum Gitter. Nahm zwei Schluck Flüssigkeit zu sich. Glitt langsam an den Stangen hinunter zu Boden.
7.05 Uhr. Heftiges Zittern.
7.12 Atmung 20
7.50 Uhr. Atmung 24
9.15 Uhr. Liegt auf dem Rücken, Mund offen, Geräusche bei jedem Atemzug.
9.20 Uhr. Konvulsionen, Erbrechen, Exitus.
Die Autopsie wurde für uns freundlicherweise von Dr. John Cragg vorgenommen, dem Direktor des staatlichen pathologischen Instituts von Jersey. Es stellte sich heraus, daß Oscar an einer Dickdarmvereiterung gelitten hatte — einem Leiden, das beim Menschen ziemlich selten vorkommt und bei Orang-Utans noch seltener. Die Schleimhaut des Darms wird befallen, und es bilden sich Geschwüre, die schließlich zum Tod führen. Es war bestürzend, aufgrund der Autopsie zu erfahren, daß Oscar schon seit einiger Zeit an dieser Erkrankung gelitten haben mußte, ohne daß sich irgendwelche Symptome gezeigt hatten. Teile des Dickdarms waren in Erneuerung begriffen, was darauf schließen ließ, daß ein Heilungsprozeß eingesetzt hatte, als die Erkrankung sich als tödlich erwiesen hatte.
Es war uns ein schwacher Trost zu wissen, daß eine derart ungewöhnliche Krankheit aufgrund der mageren Symptome, die wir hatten beobachten können, unmöglich hätte diagnostiziert werden können. Und es war uns auch kein Trost zu wissen, daß eine Behandlung wahrscheinlich unmöglich gewesen wäre. Wenn nämlich diese Erkrankung beim Menschen festgestellt wird, dann muß dem Patienten ein Cortisoneinlauf gemacht werden — das geht aber nur mit der Kooperation des Patienten. Ein betäubter Oscar hätte nicht helfen können. Ein völlig wacher Oscar hätte sich gesträubt zu helfen.
Im Vergleich zur Humanmedizin befindet sich die Tiermedizin noch im Mittelalter. Wir haben das Glück, daß die Tierärzte, die sich um unsere Tiere kümmern, nicht nur gescheit sind, sondern auch Interesse haben; im großen und ganzen jedoch bin ich bei Tierärzten auf größeres Unwissen über wilde Tiere gestoßen als bei allen anderen Kategorien von Menschen, mit Ausnahme vielleicht von Zoodirektoren und Biologen. Ob man dem Durchschnittstierarzt nun einen Fennek vorstellt, der kleiner ist als ein Zwergpudel, oder die »Giraffe« der Hundwelt, einen Mähnenwolf, er wird darauf bestehen, beide Tiere so zu behandeln, als wären sie junge Jagdhunde aus demselben Wurf. Gewiß, sie gehören beide der Familie der Hunde an, aber nicht nur größenmäßig besteht zwischen ihnen ein himmelweiter Unterschied, sondern auch in bezug auf ihre Verhaltensweisen, ihre natürliche Umwelt und ihre Psychologie. So verwunderlich ist diese Unerfahrenheit der Tierärzte vielleicht gar nicht, da sie ja während ihrer Ausbildung kaum etwas anderes sehen als Haustiere. Es gibt wenig Anreiz, sich in die unerforschten und gefährlichen Gebiete der Tiermedizin hinauszuwagen, die sich mit Wildtieren befassen.
In der Wildtiermedizin bieten sich ungeheure Forschungsmöglichkeiten. In kommenden Jahren werden wir, wenn wir Intelligenz walten lassen, vielleicht in einem verzweifelten Versuch, wenigstens einige Menschen am Leben zu erhalten, so esoterische Geschöpfe wie Elenantilopen, Giraffen, Hirschziegenantilopen oder Gemsbüffel als Fleischtiere in Farmen züchten; da können dann gründliche Kenntnisse auf jenen Gebieten der Tiermedizin, die heute noch zum großen Teil im Dunklen liegen, von ungeheurem Nutzen sein. Über Wildtiere ist so wenig bekannt, daß jede Kleinigkeit, die unsere Kenntnisse erweitert, als ein Fortschritt angesehen werden kann. Denken wir nur an die künstliche Besamung, die bei Haustieren heute vielfach, und großenteils mit Erfolg, angewendet wird. Ihre Anwendung bei Wildtieren steckt noch in den Anfängen, aber was auf diesem Gebiet bisher getan wurde, reicht aus, uns zu zeigen, daß die künstliche Besamung zu einem wichtigen Instrument des Artenschutzes werden kann, indem man auf diese Weise gefährdete Arten züchtet. An der Cornell Universität in den Vereinigten Staaten wurde zum Beispiel ein erster Durchbruch geschafft: Es gelang, Falken künstlich zu besamen und die in einer kontrollierten Umwelt erzeugten Eier in Nester von wildlebenden Vögeln zu legen, da deren Eier, wenn die Eltern durch Pestizide verseucht
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