Die Titanic und Herr Berg
mir, meiner. Mir fällt nichts schwer, weil er noch sehr leicht ist, wie das Wort «Schicksal», wenn ich es auf einen Zettel schreibe und den Zettel verliere, wenn ich hüpfe. Es ist auch leicht, weil ich alles, was ich wollte, wollte. Ich habe mir ein Kleid von Ina geborgt, zu eng, und Schuhe von Gesine, mit Schnallen, und Geld von Frank, vorne und hinten bedruckt. Ich habe Schmuck von Frau Giese genommen und mache jetzt nicht mehr bei ihr sauber. Ich brauche kein Geld, aber ich kann es ja trotzdem haben. Ich muss los, jetzt. Ich gehe die Treppen hinunter, jede Stufe einzeln, um nicht zu stolpern und ohne mich am Treppengeländer festzuhalten, weil ich keine Hilfe brauche. Im Erdgeschoss ist es dunkler als sonst, weil eine Männergestalt vor der Eingangstür mit der Glasfüllung steht und das Licht abhält. Er schließt nicht und er klingelt nicht, er steht. Ich sehe, dass ich den Umriss nicht kenne, irgendwer, nicht wer, den ich nicht sehen will, der Klarheit von mir will. Wie denn bei Milchglas? Als ich die Tür von innen öffne, weil ich raus will, weil ich was vorhabe und dazu raus muss, fällt er mir fast entgegen, darum. Dann fängt er sich ab und flüchtet ein Stück. Er macht kurze Schritte, ich mache nichts, als ihm nachzusehen, wie er direkt an der Hauswand entlang flüchtet. Seine Schulter berührt immer die Wand. Seine Haare sind nass und ich frage mich warum. Heute Nacht hat es geregnet, aber er müsste schon wieder trocken sein, ist er aber nicht, nein. Er ist nass – ein Irrer.
Ich gehe zum Sozialamt – ein Mädchen durch Pfützen.
Ich fahre mit dem Fahrrad, immerhin, so kann ich niemanden totfahren außer Regenwürmer. Ein Fahrrad hat viele Vorteile, nur hupen kann ich nicht. Ich muss leise klingeln und davor hat nun echt niemand Respekt. Warum auch? Ich habe eine Tasche mit Gummibändern auf dem Gepäckträger. In der Tasche ist ein Apfel und genau das strahle ich aus. Klingling, Platz da, der Mann mit dem Apfel will zur Arbeit, ohne Waffe, ohne Zukunft, aber mit Kotztüten voller Vergangenheit. Ich weiß, das ist kein Talkshow-Thema. Es regnet diesen Sommer sehr viel, da muss niemand heulen, um das Gesicht feucht zu haben. Die Pflanzen müssen auch nicht gegossen werden. Für die Natur ist Regen prima, aber ein Fahrrad ist nicht Natur und meine Hose auch nicht. Für die ist der Regen nicht gut und ein Schutzblech schützt nicht vor allem, vor allem nicht, wenn ein Auto neben einem durch eine Pfütze fährt. Ich seh aus, als habe ich mich anpissen lassen. Heute Nacht hat es geregnet und Tanja war sicherlich geil, aber weil ich eine nasse Hose habe, muss ich nicht mal denken, dass ich nicht an Tanja denken will, ich habe eine nasse Hose. Ich muss einen Umweg fahren, weil in der Parallelstraße vom Sozialamt ein Film gedreht wird. Die Straße ist gesperrt. Auf der Straße stehen eine Frau, die sicherlich schön ist, und ein Junge, dem die Hose sonstwo hängt. Sie küssen sich. In den Autos hupen die Statisten. Ein Praktikant föhnt die Straße trocken. Brav, kleiner Träumer! Ich bleibe an der Absperrung stehen und halte mich an der Laterne fest. Die Frau ist wirklich verdammt ansehnlich. Heute Morgen habe ich versucht zu wichsen und wusste nichts von dieser Frau, aber morgen kann ich ja an diese Frau denken, anstatt an eine andere, an die ich nicht denken will, aber mein Schwanz denkt immer an die, beschissner Regenwurm.
Ich gehe wacker. Leiden geht anders, es greift den Körper an, alles. Ich werde dicker. Ich esse viel, Erdbeeren aufs Brot. Leiden geht anders, ich gehe zum Sozialamt, weil ich Mutter werde und das Sozialamt der Vater ist. Ein Kind der Liebe und ich will, dass es alles bekommt, was es will: einen Roller, einen Hund, ein Springseil. Spring! Spring! Ich fang dich auf, weil du mich aufgefangen hast. Wir werden quitt sein. Er muss fallen lassen lernen, denn wer fällt, schlägt schon irgendwo auf und wer nicht fällt, der steht ein Leben lang auf dem Fensterbrett. Als ich kurz vorm Ziel bin, ist die Straße gesperrt. Oft ist ein Ziel nicht einfach zu erreichen, ja, nein. Auf der Straße steht ein Liebespaar und küsst sich. Sie machen das nicht freiwillig, sie werden bezahlt dafür und gefilmt dabei. Ich mache alles, was ich mache, freiwillig. Ich renne über die Straße. Ich habe eine neue Umhängetasche, einen neuen Namen und eine Umhängetasche, deren Tragegurt zwischen den Brüsten liegt, dass alle Männeraugen nicken, ja, ja, ja. Ich renne durchs Bild. Mir wird etwas
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