Die Tochter der Hexe
zum Wirtshaus, hatte jemand mit schwarzer Asche etwas in den fest getretenen Schnee gezeichnet.
Es war ein fünfzackiger Stern, ein Drudenfuß.
Marthe-Marie spürte, wie Übelkeit in ihr hochstieg. Sie schob den Mann brüsk zur Seite und fuhr mit dem Absatz über das Pentagramm, wieder und wieder, bis es sich in Eisbrocken und grauen Schlamm aufgelöst hatte.
«Was glotzt Ihr so?», herrschte sie den Träger an und nestelte mit zitternden Fingern das Handgeld aus ihrer Börse. «Ihr könnt gehen. Los jetzt.»
In der Stube musste sie sich erst einmal hinsetzen. Sie schloss die Augen. Wenn der Holzträger nun überall in der Stadt herumerzählte, was er gesehen hatte?
«Du musst bei Gericht Anzeige erstatten», sagte Mechtild, als Marthe-Marie ihr alles erzählt hatte. «Wenn du dich nicht wehrst, bleibt für immer ein Schatten der Unehre auf deinem Namen.»
«Du weißt doch selbst, dass ich kein Recht dazu habe, vor Gericht zu gehen. Ich bin eine Fremde, ich habe weder Bürgerrechtnoch einen Vormund hier in der Stadt.» Sie setzte eine entschlossene Miene auf. «Nein, ich muss schon selbst herausbekommen, wer mir Böses will.»
Wie zum Trotz begleitete sie Mechtild in den nächsten Wochen bei den Einkäufen. Wenn irgendwelche Gerüchte über sie im Umlauf waren, dann wollte sie die auch als Erste erfahren. Doch die Menschen auf dem Markt und in den Gassen verhielten sich wie immer. Mal waren sie freundlich, mal mürrisch, je nach Laune und Stimmung.
Die Häuserwände hallten wider von den Trommelschlägen und Fanfarenstößen, Peitschen knallten, Rätschen schnarrten an jeder Straßenecke. Die ganze Stadt schien zu erbeben vom Lärm der Musikanten, die engen Gassen barsten schier unter dem Andrang der Menschenmassen. Männer, Frauen und Kinder, Bettler und Ratsherren, Geistliche und Adlige schoben sich in dichten Trauben vorwärts, wobei in diesen Tagen von niemandem mit Gewissheit zu sagen war, ob das, was er darstellte, Täuschung oder Wirklichkeit war. Denn die meisten hatten sich verkleidet oder verbargen zumindest das Gesicht hinter einer Maske.
Marthe-Marie saß an einem Holztisch vor der Wirtschaft und verkaufte zusammen mit der Köchin Theres, mit der sie längst ein freundschaftliches Verhältnis verband, frische Krapfen. Es lag nicht nur an Mechtilds Geschäftssinn, dass sie während der Fastnachtstage ihren Schanktisch draußen aufzustellen pflegte. Man hatte von hier auch einen guten Blick auf die Festzüge der Zünfte, die durch die Schneckenvorstadt zum Martinstor und weiter die Große Gasse hinaufzogen. Gerade eben tanzte ein Arlecchino heran, der mit seiner Holzpritsche den Weg frei schlug für den Umzug der Schreinergesellen. Hinter drei Fanfarenbläsern erschien der Fahnenschwinger mit der rot-weißen Fahne, die das Wappen der Zunft, die Arche Noah, zeigte. Ihm folgten zwei helmbewehrteSpießträger, die drei Türken mit Krummsäbel und Turban an Stricken hinter sich herzerrten. Unter Johlen und Gelächter bewarfen die Zuschauer die gefangenen Muselmanen mit Mehltüten.
«Einer von den Türken ist mein Bruder», brüllte Theres Marthe-Marie ins Ohr. «Das geschieht ihm recht.»
Auf dem Eselskarren, der folgte, thronte der Kaiser Rudolf persönlich und grüßte huldvoll nach allen Seiten, während eine vollbusige, grell geschminkte «Hofdame» bunte Zuckerkugeln mit ihren kräftig behaarten Händen unters Volk schleuderte. Als sich Marthe-Marie nach den Süßigkeiten bückte, schlich ein Bursche mit grinsendem Schweinskopf auf den Schultern hinter sie und stahl einen Krapfen. Sie drohte ihm mit der Faust, darauf schwang er eine dicke, rot bemalte Hartwurst, die ihm zwischen den Lenden herabhing, vor ihrer Nase und verschwand dann in der Menge.
«Schweinehund!» Marthe-Marie musste lachen.
Eben flanierten in einer Eskorte von Trommlern die Schreinergesellen vorbei, mit Bändern und Abzeichen geschmückt und mit riesigen Federn auf Hüten von Hobelspänen. Theres sprang von der Bank. Sie hatte unter den Musikanten ihren Bräutigam entdeckt. Mit einem Krapfen in der Hand rannte sie mitten in den Umzug und stopfte ihrem Trommler den Krapfen in den Mund, dass er kaum noch Luft bekam. Die Zuschauer lachten und klatschten Beifall. Als sie zurücklief, war ihr Platz von einer Teufelsgestalt besetzt, die sich an Marthe-Marie presste und den Kopf an ihren Brüsten rieb. Sie hatten Mühe, den aufdringlichen Kerl von der Bank zu stoßen.
«Himmel, hat der gestunken.» Marthe-Marie schüttelte
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