Die Tochter der Hexe
sich. «Wie ein brünstiger Geißbock.»
Hinter der letzten Musikantentruppe rollte ein langer Wagen, der ganz offensichtlich nicht zu den Schreinern gehörte. Die Seitenflächen waren mit Masken und Figuren in schreienden Farben bemalt, an hohen Stangen spannten sich Schnüre mit buntenWimpeln, und über dem Heck erhob sich ein Blechschild mit dem verschnörkelten Schriftzug «Leonhard Sonntag & Compagnie». Auf dem Wagen selbst drängte sich, eng wie die Heringe im Salzfass, ein gutes Dutzend Gaukler, manche in prächtigen Kostümen, andere fast nackt, den Körper über und über bemalt. Auf einem Podest stand ein glatzköpfiger Priester, schleuderte Asche über die Zuschauer, reckte immer wieder die Arme zum Himmel und schrie: «O gottlose Fasenacht, hinfort mit dir!», bis ein verwegen aussehender Landsknecht ihm von hinten den Mund zuhielt und seinerseits, mit schrecklichem Akzent und falscher Aussprache, brüllte:
«Fastnacht lebe hoch! Kommet zu Leonhard Sonntag und seine in Welt berühmte Compagnie. Heute, morgen und übermorgen auf Münsterplatz. Wir zeigen Firlefanz und Schabernack, Affentanz und Kakerlak. Samt diesem Jammersack Hans Leberwurst.» Er gab dem Priester einen Tritt in den Hintern. «Und exklusiv für Publikum von diese schöne Stadt wir zeigen Paradies, was drei Meilen hinter Weihnacht liegt, wir zeigen Schlaraffenland von berühmte Dichter Hans Sachs.»
Der Priester schlug den Landsknecht mit der Faust nieder und begann wieder zu lamentieren – dann war der Wagen aus Marthe-Maries Blickfeld verschwunden. Ein Großteil der Menschen folgte grölend den Komödianten, die anderen, nicht weniger laut, begannen auf der Straße zu tanzen: Männer in Frauenkleidung mit falschem Busen und Haar, Frauen, die als Soldaten gingen, Mönche, Narren und Teufel, wilde Männer mit Keulen und nackt bis auf ein Fell um die Hüften, Harlekine auf Stelzen, bunte Vögel mit Flügeln und langen Schnäbeln, Affen auf allen vieren, mittendrin ein splitternackter Mann, der sich mit Würsten, Hühnern und Hasen behängt hatte. Trommler, Pfeifer und Narren im Schellenkostüm gaben den Rhythmus vor, die Umstehenden hielten den Tänzern Krüge mit Bier und Wein an die Lippen oder spritzten sienass. Kaum einer zeigte sein wahres Gesicht, die Welt war auf den Kopf gestellt.
Jetzt erst bemerkte Marthe-Marie, dass am Schanktisch eine schlanke Gestalt lehnte und sie unaufhörlich ansah: Ein Wegelagerer, in buntscheckiger Jacke, mit Federhut und schwarzem Tuch vor dem Gesicht.
«Wollt Ihr einen Krapfen?»
Der verkleidete Räuber nickte stumm. Von seinem Gesicht waren nur die nussbraunen Augen mit dunklen Brauen und langen Wimpern zu sehen. War es eine Frau? Wer mochte das schon wissen an Fastnacht, wo Frauen als Männer und Männer als Frauen gingen, um das andere Geschlecht zum Narren zu halten. Ohne den Blick von Marthe-Marie zu wenden, legte der Räuber ihr ein paar Münzen in die Hand und nahm den Krapfen entgegen. Da drängte ihn einer der wilden Männer beiseite und küsste erst Marthe-Marie, dann Theres mitten auf den Mund.
«Wollt ihr hier versauern? Kommt mit, ich lass euch was Besseres kosten als eure langweiligen Krapfen.»
Marthe-Marie schob ihn weg. «Wir haben zu tun.»
«Ach was, ihr habt lang genug herumgehockt.» Mechtild trat neben sie. «Geht nur los, ich mache hier weiter.»
«Schläft Agnes?»
«Wie ein Stein. Ein Wunder bei diesem ohrenbetäubenden Krach. Nun geht schon, ich werde schon nach der Kleinen sehen.»
Sie schoben sich durch die Menschenmasse Richtung Martinstor. Marthe-Marie drehte sich noch einmal um und sah für einen Augenblick, inmitten der wogende Menge von Masken und geschminkten Gesichtern, die nussbraunen Augen mit den langen Wimpern, dann waren sie verschwunden.
Theres zerrte sie weiter. «Komm, wir suchen die Komödianten.»
Doch auf der Großen Gasse in Richtung Münsterplatz war kein Durchkommen. Ein Mönch neben Marthe-Marie hielt ihr seinen Weinkrug hin, und sie trank ihn kurzerhand leer, so durstig war sie. Als sie seine Hand auf ihrem Busen spürte, schlug sie ihm hart auf die Finger.
«Versuchen wir es über die Salzgasse. Falls wir uns verlieren, treffen wir uns vor dem Kornhaus», schrie sie Theres ins Ohr. Auch die Salzgasse war voller Menschen, doch es ging wenigstens vorwärts. Sie hielten sich, so gut es ging, am Rande des Stroms.
Da spürte sie einen heißen Atem am Ohr.
«Hexentochter!»
Sie fuhr herum. Theres war verschwunden, statt ihrer drängte sich
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